Ein Zürcher Dorf in Not
Das Volk sagte Ja zur Auflösung der Gemeinde, das Personal sucht das Weite. Doch jetzt ist plötzlich alles anders. Die Geschichte eines Fusionsschlamassels ob dem Zürichsee.

Das Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts liest sich nicht gut für den Bezirksrat Horgen. So ist etwa von «massiven Verfahrensfehlern» die Rede. Deshalb lautet der richterliche Befehl: Zurück an die Vorinstanz. Der Entscheid, der diese Woche publiziert wurde, ist nur eine Episode im immer epischeren Streit um die Eingemeindung Hirzels in Horgen. Doch die Rückweisung hat einschneidende Folgen: Der Zusammenschluss verzögert sich und wird kaum auf den geplanten Termin Anfang 2018 vollzogen werden können.
Kurzer Rückblick: Die Horgner und Hirzler Stimmbürger segnen die Eingemeindung am 25. September 2016 mit 59 respektive 79 Prozent Ja-Anteil ab. Zuvor hat die fusionskritische IG Hirzel einen Stimmrechtsrekurs eingereicht, der den Urnengang verschieben wollte. Nach der Abstimmung folgt eine Gemeindebeschwerde, welche den Fusionsvertrag rechtlich angreift. Dem Stimmrechtsrekurs folgt sogleich eine Beschwerde wegen Rechtsverzögerung, weil er nicht rechtzeitig behandelt worden sei.
Bezirksratspräsident ist befangen
Im Dezember rügt das Verwaltungsgericht tatsächlich die Rechtsverzögerung durch die erste Instanz, den Bezirksrat Horgen. Im Januar lehnt der Bezirksrat den Stimmrechtsrekurs aus formellen Gründen ab. Im Februar verwirft er die Gemeindebeschwerde, ebenfalls teils aus formellen Gründen. Die IG Hirzel zieht beide Entscheide ans Verwaltungsgericht weiter. Bereits zuvor hatte sie angekündigt, notfalls bis vor Bundesgericht zu gehen.
Nun also hat das Verwaltungsgericht den Stimmrechtsrekurs beurteilt, die formelle Begründung des Bezirksrats zurückgewiesen und die Angelegenheit wie erwähnt an den Bezirksrat zurückgeschickt, erneut versehen mit einer Rüge: Der Bezirksratspräsident Armin Steinmann (SVP) sei befangen gewesen, weil er kurz nach Einreichen des Rekurses in der «Zürichsee-Zeitung» verlauten liess, dass der Rekurs keine aufschiebende Wirkung habe. Steinmann habe sich bereits vor dem Entscheid «eine feste Meinung gebildet», kritisiert das Gericht. Der Bezirksrat müsse neu entscheiden, und zwar auch materiell, allerdings ohne Steinmann. Das Urteil zur Gemeindebeschwerde wird in den nächsten Wochen erwartet. Auch in diesem Verfahren hatte es ein Ausstandsgesuch für Steinmann gegeben.
Gemeindebehörden implodieren
Die Rechtshändel haben einschneidende Folgen. Nur drei seien genannt: 1. Die geplante Integration der Sekundarschüler Hirzels in die Sek Horgen ist weiter in der Schwebe, was die Schulplanung erschwert. 2. Die Hirzler Verwaltung entvölkert sich, da sich die Angestellten verständlicherweise neue Jobs suchen: Der Gemeindeschreiber verlässt Hirzel Ende September, die Leiterin der Finanzen ist bereits im Mai gegangen, die Leiterin des Steueramts und der Leiter der Abteilung Liegenschaften sind seit Ende Juni weg. Als Reaktion helfen seit Anfang Juli die Gemeinde Horgen und auswärtige Springer aus. 3. Die Legislatur endet nächstes Jahr, geplant waren gemeinsame Wahlen mit Horgen im April 2018. Ohne rechtskräftige Fusion muss Hirzel einen neuen Gemeinderat wählen, unter diesen Umständen wird die Kandidatensuche nicht leicht.
Angebot der Gegner
Nun könnte es Entspannung geben. Markus Frei von der IG Hirzel, der in allen Fällen Beschwerdeführer ist, erklärt sich auf Anfrage von Redaktion Tamedia zu einem «Deal» bereit, der den Rückzug aller Rekurse und Beschwerden umfassen könnte. «Einer Verhandlungslösung, in der die Gemeinde Hirzel der IG in den massgeblichen Punkten entgegenkommt, stehe ich offen gegenüber», sagt Frei. Das wichtigste Anliegen: Erhalt der Sekundarschule in Hirzel. Weiter verlangt er eine Garantie, dass das Primarschulhaus auf dem Berg bleibt, und einen Ableger der Horgner Gemeindeverwaltung in Hirzel.
Frei betont, dass er und die IG Hirzel nicht «Fusionsgegner», sondern «Fusionskritiker» seien und die Fusion grundsätzlich unterstützten. «Wir sind keine Querulanten», sagt er. Allerdings ist er überzeugt, dass sich Hirzel «zu billig verkauft» hat. So müsse der künftige Horgner Ortsteil für Zuzügerfamilien attraktiv bleiben. «Ohne Schulen geht das nicht», meint Frei. Der 43-jährige Jurist und Vater eines 9-jährigen Sohnes ist selbst erst 2014 zugezogen. Bei einem Teil der Verfahren ist er der letzte Beschwerdeführer. Seine beiden Mitstreiter, beide Alteingesessene, haben sich zurückgezogen, da sie sozial in der Gemeinde unter Druck geraten seien.
Die Kosten der aufwendigen Rechtsverfahren seien nicht der Grund für das Gesprächsangebot der IG Hirzel, sagt Frei. Zwar haben er und die beiden anderen Beschwerdeführer aus der eigenen Tasche schon ca. 10'000 Franken ausgegeben und kosteten die Verfahren bisher ca. 100'000 Franken für alle Beteiligten. Doch werde die IG Hirzel durch Mitglieder des Vereins Zivilgesellschaft unterstützt. Dort habe sich der emeritierte Rechtsprofessor Rainer Schweizer, der die IG Hirzel juristisch berät, für das Anliegen starkgemacht.
Erste Verhandlungsrunde scheiterte
Der Hirzler Gemeindepräsident Markus Braun (parteilos) reagiert überrascht auf das Vorgehen von IG-Hirzel-Mitglied Frei: «Das ist Nötigung und keine Gesprächsbereitschaft. Herr Frei hat meine Telefonnummer, er kann mich auch direkt kontaktieren.» Auch verweist Braun auf eine Gesprächsrunde im vergangenen Dezember. Man habe sich an einen Tisch gesetzt und Möglichkeiten ausgelotet für den Rückzug der Beschwerden. Die Gemeinde Hirzel habe damals den Beschwerdeführern einen Weg aufgezeigt, wie sie sich in den Umsetzungsprozess hätten einbringen können. Doch die Gegenseite habe auf den juristischen Weg beharrt. «Jetzt beschreiten wir diesen halt.»
Gemeindepräsident Braun verweist auf den «klaren demokratischen Entscheid» und dass er nicht Elemente wie etwa die Sekundarschule aus dem genehmigten Fusionsvertrag heraustrennen könne. Er fügt aber hinzu, dass er immer gesprächsbereit sei.
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