Ein sehr menschlicher Regisseur
Der Österreicher Ulrich Seidl ist ein kaltblütiger Beobachter. Sein zweiter Spielfilm «Import Export» erzeugt Restwärme an den schäbigsten Orten zwischen Wien und der Ukraine.
Der Österreicher Ulrich Seidl, Autor zahlreicher Dokumentar- und zweier Spielfilme, hat zwei Arten von Gegnern. Die einen mögen einfach gar nicht hinschauen, wenn er eindringt in Intimbereiche und die privateste Verlorenheit und wenn um seine Protagonisten und Darsteller ihrer selbst die filmische Wirklichkeit symmetrisch gefriert. Es ist ihnen zu grausam. Die anderen können sich nicht sattsehen an den kalten Einstellungen, in denen Menschen verspottet und quasi verschlungen werden von den Lust- und Gemütlichkeitssimulationen, die sie sich selber eingerichtet haben; sie tun dann Busse für den Genuss fremder Peinlichkeiten durch die Empörung über den Regisseur, der ihn ermöglicht. Es läuft aber immer aufs Gleiche hinaus: Was, so oder so, ein rechter Seidl-Gegner ist, redet von einem methodischen Voyeurismus und von einer Verletzung der realistischen Anstandsgrenzen.
Die Ablehnung hat vor allem Seidls Dokumentarfilme betroffen (die Erregung zum Beispiel über «Tierische Liebe», 1995, wo Menschen und Hunde Zungenküsse tauschten, war geradezu schäumend). Als er mit «Hundstage» (2001) seinen ersten Spielfilm präsentierte, kam es zwischen dem Regisseur und seinen Gegnern zu einer eigentümlichen Versöhnung. Er hat diesen Frieden nicht gesucht, aber offenbar war die brutal kalte Normalität einer sonnendurchglühten Wiener Vorstadt als Fiktion leichter auszuhalten. Es wirkten jedoch auch dort die dokumentarischen Kräfte (so wie in den Dokumentarfilmen die fiktiven), nur etwas hinterlistiger.
Beim zweiten Spielfilm jetzt, «Import Export», ist der alte Vorwurf, Seidl betreibe einen halbdokumentarischen Menschenzoo, bereits wieder aufgetaucht. Als wäre ein Filmemacher schuld an der Wirklichkeit, weil ihm vor keiner ihrer Möglichkeiten graust. Es wird da wieder zweierlei unterschätzt: Seidls konsequenter Respekt vor der zumutbaren Wahrheit und vor den Menschen in ihren elendesten Zuständen; und das Mitleid, das echt ist, weil es nie sentimental wird.
Frost über den Bildern
Es geht den Menschen in «Import Export» nun einmal nicht gut, und es bestand kein Anlass, filmisch weich zu werden und anzudeuten, es könnte ihnen je besser gehen. Eine ukrainische Krankenschwester (Ekateryna Rak) sucht den besseren Verdienst in Wien, ein junger Wiener (Paul Hofmann) ein besseres Auskommen in der Ukraine, wo der Alkohol und die Mädchen billiger sein sollen. Aber überall demütigt die Wirklichkeit die, die ein bisschen Fairness von ihr erwarten.
Parallelgeschichten, die sich nie freundlich kreuzen, spielen dort, wo die Aussichtslosigkeit sich besonders konzentriert: in Plattenbauten und im Internet-Bordell; im Hotelzimmer, wo sich pornografische Fantasien auf die schmierigste Weise erfüllen; oder in der geriatrischen Allgemeinabteilung eines österreichischen Krankenhauses, wo in die Windeln gemacht und gestorben wird und eine ausgebildete Ukrainerin nichts darf, ausser feucht aufnehmen. Hier oder dort: Immer werden die mitgebrachten Klischees zuschanden an der überall gleichen Schäbigkeit. Es liegen strengster Frost und Pessimismus über den Bildern von «Import Export»; und ihre Kälte dringt einem viel tiefer als nur unter die Haut.
Im Übrigen ist das wahrscheinlich Ulrich Seidls wärmster Film bis jetzt, und vielleicht ist er auch deshalb so gut: wegen einer Restwärme in seinen Figuren, die doch von einer fein dosierten Beimengung von resistenter Hoffnung kommt. Sie ist leicht zu übersehen, mehr zu ahnen. Nicht dass sie sich etwa erfüllt. Aber sie gibt einer Ukrainerin in Wien und einem Wiener in der Ukraine gerade noch genug Stolz, um einmal genug zu haben und wieder wegzugehen, auch wenn sie nicht wissen wohin. Und sie lässt einen alten Mann, bei dem man sich wirklich Sorgen ums Herz und die Dichtigkeit seiner Windeln machen muss, noch einmal tanzen, bevor ihn die normale Alterstragödie wieder einholt. Es hat etwas Würdiges. Seine Gegner können sagen, was sie wollen: Ulrich Seidl ist ein sehr menschlicher Regisseur.
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