Ein gefährdetes Kulturgut
Der FC Winterthur ist am Mittwoch beim Cup-Viertelfinal in Bern nur ein kleiner Gast – und trotzdem ein spezieller und stolzer Verein.

Die Idee kommt Andreas Mösli unvermittelt. Und sie kommt dem Geschäftsführer des FC Winterthur, weil er verärgert darüber ist, dass sein Club am Mittwoch den Cup-Viertelfinal auswärts bestreiten muss. In Bern wird das Spiel als Pflichtübung angesehen – in Winterthur, Möslis Heimat, wäre es ein Fussballfest geworden.
Eine ausverkaufte Schützenwiese hätte dem FCW gegen 100'000 Franken Gewinn eingebracht, das Catering nicht eingerechnet. Das ist viel Geld für einen kleinen Verein, der noch nicht weiss, was ihm die Zukunft bringen wird.
Mösli, einst Punker und Journalist, ist längst das Gesicht des Vereins aus der Stadt hinter Zürich, er ist ein Romantiker, der um den Platz des Kleinen kämpft und Spiele der Champions League nicht mehr zu persönlichen Pflichtterminen am Fernsehen erklärt. Mösli also sagt: Alle, Fans, Sponsoren, Fernsehen, Spieler und Trainer, sollten sagen können, welchen Cup sie möchten, wie für sie der optimale Wettbewerb aussähe.
«Das Ergebnis einer solchen Umfrage wäre spannend», sagt Mösli – spannend die Frage, ob viele so denken wie er. Er möchte, dass die Clubs der Super League schon in der ersten Runde aufeinandertreffen und nicht erst ab dem Achtelfinal. Der Unterklassige soll grundsätzlich Heimvorteil geniessen und nicht nur bis zum Achtelfinal. Jetzt aber heisst es in den Viertelfinals: Basel - Zürich, Sion - Kriens, YB - Winterthur. «Das ist einfach schade», sagt Mösli, «der Cup sollte doch von Überraschungen leben.»
Das Nischenprodukt
Scherzeshalber hat er den Bernern einen Platztausch vorgeschlagen. Dass er kein Gehör gefunden hat, kann nicht weiter erstaunen. Den Cup-Achtelfinal vom November 2011 verlor YB mit Christian Gross als Trainer in Winterthur nach Elfmeterschiessen. Aber Mösli stört noch etwas anderes: das Datum. Die Viertelfinals müssten aus seiner Sicht am Wochenende ausgetragen werden. So, mit einem Mittwoch und einem Donnerstag als Spieltagen, würde der Wettbewerb an Bedeutung verlieren.
Um die 600 Winterthurer Fans sind es trotzdem, die sich am Mittwoch in den Extrazug nach Bern setzen. Das ist nicht erstaunlich, weil der FCW auf einen treuen Anhang zählen kann. 3100 beträgt der Zuschauerschnitt, obschon die Mannschaft bislang eine schlechte Saison spielt. Das Interesse hat viel mit Mösli zu tun, der es verstanden hat, den FCW als Nischenprodukt zu platzieren. Er hat ihm den Anstrich des Alternativen gegeben und ihn zum «St. Pauli der Schweiz» gemacht, wie das deutsche Magazin «11 Freunde» einmal leicht überdreht schrieb.
In Winterthur geht es für Mösli um mehr als nur um Fussball. Es geht auch um «Friede und Freiheit», um Integration und Kampf gegen Familienarmut, um sauberes Wasser für alle und inzwischen auch um den Verkauf von fairem Kaffee im Stadion. Die Bierkurve, die kleine Fankurve mit dem Salon Erika als Apéro-Bar, ist schon fast zum Marketingprodukt geworden.
Zu einem Besuch auf der Schützenwiese gehören nach dem Spiel besonders an schönen Tagen auch die kleinen Konzerte in der Stadion-Beiz, der Libero-Bar. Was erstaunt es da, dass Mösli seinen FCW zum «speziellen Kulturgut» erklärt oder auch vom «Planeten FCW» redet?
Winterthur und sein FCW haben aber ein vergleichbares Problem. Sie leben im Schatten Zürichs, das, so Mösli, «wirtschaftlich, politisch und kulturell wie ein schwarzes Loch ist, das alles aufsaugt». Winterthur fehlt es als Stadt an Geld, dem FCW als Verein. Winterthur hätte zwar Grossunternehmen zu bieten, Axa, Sulzer, Rieter, aber deren Horizont ist die Welt.
Der FCW hatte seit 2001 wenigstens Glück mit dem Unternehmer Hannes W. Keller als Präsident. Aber diesen Sommer endet Kellers Ära endgültig. Die drängende Frage für den FCW heisst: Wie weiter?
Wenn eine Million fehlt
Bis 2015 führte Keller, in der Druckmesstechnik vermögend geworden, den Verein, er investierte bis dahin rund 15 Millionen und gefiel sich in der Rolle des Aussenseiters im Winterthurer Wirtschafts-Establishment. Nach seinem Rücktritt hat er sich generös gezeigt, das Defizit von jährlich rund 1 Million für weitere zwei Saisons gedeckt und ein Budget von rund 4 Millionen erlaubt. Dieses Loch muss fortan gedeckt werden.
Die Geldsucher von der Schützenwiese müssen nun genau die Kreise angehen, um die sich Keller stets foutierte. Sie müssen wieder um die Gunst der Kleinsponsoren werben, die Keller mit seiner schroffen Art vor den Kopf stiess, weil er ihr Geld nie wollte. «Mein Vater war Fluch und Segen für den Verein», sagt heute selbst Mike Keller, der dem Verein als Vizepräsident vorsteht.
Bis zum nächsten Sommer wird der FCW insgesamt 16 Jahre in Sicherheit und Ruhe gelebt haben. Keller hat sportlich nie den Aufstieg gefordert, er hat nur den Abstieg immer zu vermeiden versucht. Dieses Denken hat den Verein geprägt und irgendwie auch gelähmt, er ist nie weitergekommen, sondern immer in der Challenge League stecken geblieben.
Seit 1985 hat er nie mehr zur höchsten Liga gehört. Und das als Verein aus einer Stadt, die weit grösser ist als die Super-League-Standorte Sitten, Thun, Vaduz oder Lugano, und als Ausbildungsort von Spielern wie Marwin Hitz (Augsburg), Pajtim Kasami (Nottingham), Remo Freuler (Bergamo), Luca Zuffi (Basel), Ermir Lenjani (Rennes), Amir Abrashi (Freiburg), Steven Zuber (Hoffenheim), Fabian Frei (Mainz) oder Admir Mehmedi (Leverkusen).
Sportlich steckt der FCW nach dem einen Jahr mit Sven Christ als Trainer und nur einem Sieg in dreizehn Runden tief in der Bredouille. Der Ligaerhalt ist das vordringliche Ziel unter Umberto Romano und Dario Zuffi. Dabei sagt Mösli: «Wir müssen doch andere Ziele haben, als einfach nur den Abstieg zu verhindern. Wir sind kein Dorf. Wir sind Winterthur.» So viel Stolz muss sein.
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