Eggesiner Elegie
Julia Schoch kennt das Milieu sehr genau, das sie in ihrem für den Leipziger Buchpreis nominiert gewesenen Buch schildert: Die Offizierstochter wurde 1974 im ostdeutschen Bad Saarow geboren und wuchs in einer Garnisonsstadt auf.
«Vielleicht. Es scheint. Ich nehme an.» Wie nähert man sich schreibend dem Freitod eines nahestehenden Menschen? Julia Schochs Ich-Erzählerin beendet ihren Versuch mit diesen tastenden, stockenden Satzanfängen, die sie wie ein Mantra wiederholt. Die offenkundig mit den Theorien des Nouveau Roman vertraute Hinterbliebene muss am Ende dieser sich zum «Roman» aufplusternden Erzählung erkennen: «Die Wahrheit ist anders.»
Erste Auslandreise
Nach dem Sommer 1989, in dem sich die Zeitgeschichte unversehens beschleunigt hatte, unternahm die ältere Schwester der Erzählerin eine erste Auslandsreise. Die Ehefrau und zweifache Mutter liess die nordostdeutsche Kleinstadt ihrer Kindheit und Jugend hinter sich und brach alleine nach New York auf. In einem letzten Brief an die jüngere, früh flügge gewordene Schwester erwähnte sie eine merkwürdige Begegnung mit einem Passanten. Dann nahm sie sich mit Schlaftabletten das Leben.
Alle bleiben namenlos in diesem heftig zum Parabelhaften strebenden Text: die Erzählerin, ihre Schwester, deren Mann und deren Liebhaber, der nur «der Soldat» genannt wird. Auch der Ort seiner Stationierung in der Nähe des Stettiner Haffs wird nicht ausgesprochen. Es muss sich jedoch um die gespenstische Plattenbau-Garnisonsstadt Eggesin handeln, die in der DDR zum Symbol der verhassten Nationalen Volksarmee (NVA) schlechthin wurde: «Es ist etwas Seltsames an diesem Ort, an dem der Krieg so friedlich erscheint.»
Die Schwester kommt aus dieser seit 1989 entideologisierten Gegend nicht mehr weg, weder physisch noch mental. Dabei geht es rein äusserlich aufwärts. «Sie waren ja noch jung, alles möglich», heisst es lapidar. Doch die Mittdreissigerin, geprägt von den Utopieversprechen einer anderen Gesellschaftsform, kann ihr Leben nicht selbst in die Hand nehmen. Ständig bricht sie in Tränen aus. Julia Schoch, die mit «Der Körper des Salamanders» 2001 ein hoch gelobtes Debüt vorlegte, scheint vor allem die marxsche These illustrieren zu wollen, wonach das Sein das Bewusstsein bestimmt.
Lyrische Beobachtungen
Als die Schwester den «Soldaten» nach vier Jahren wiedertrifft, längst in Zivil, flammt ihre Affäre ungewohnt heftig wieder auf. Das schildert die Lebensmüde der Erzählerin bei einem letzten Anruf: «Bald schon werde ich mich an meine Schwester nur noch in den Szenen und Gedanken erinnern, wie ich sie hier notiere: Erinnern ist eine Art zu vergessen.»
Eine gewisse Taubheit hat dieses Buch affiziert. Die Figuren sind zu prototypisch gezeichnet, um wirkliches Interesse oder gar Anteilnahme zu wecken. Und trotz einzelnen sehr treffenden, beinahe lyrischen Beobachtungen bleibt die versierte Autorin und Übersetzerin Julia Schoch nicht zuletzt sprachlich in paramilitärischer Deckung.
Das Buch Julia Schoch: Mit der Geschwindigkeit des Sommers. Roman. Piper, München 2009. 150 S., Fr 26.90.
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