Droht Washington das Chaos?
Mehrere Millionen Menschen wollen am 20. Januar dabei sein, wenn Barack Obama den Amtseid ablegt.
Es muss sich um einen Druckfehler handeln. 1770 Dollar will das Hotel für ein Zimmer haben pro Nacht. Geforderter Mindestaufenthalt: vier Nächte. Und dabei handelt es sich nicht einmal um eine der Washingtoner Luxusherbergen, sondern um ein zentral gelegenes Haus, das in der Schweiz vielleicht zwei Sterne bekäme. Doch auch wiederholte Anfragen bringen kein anderes Resultat – sie meinen das tatsächlich ernst.Hotelzimmer für das lange Wochenende, das am 20. Januar 2009 mit der Amtseinführung von Barack Obama endet, sind in Washington Mangelware, heiss begehrt und sehr teuer. Wenn man den Prognosen von Stadtpräsident Adrian Fenty glauben darf, wird die amerikanische Hauptstadt – bereits an einem normalen Werktag nicht gerade als durchorganisierte Kapitale bekannt – aus allen Nähten platzen. Vier Millionen Gäste erwartet er, vielleicht auch fünf.Wilde SchätzungenDer Geheimdienst glaubt, das sei zu hoch gegriffen: Mehr als zwei Millionen würden bestimmt nicht kommen. Aber auch das stellte einen Rekord dar. Den alten hält Lyndon B. Johnson, dessen Vereidigung im Januar 1965 1,2 Millionen Menschen beiwohnten. Zum Vergleich: Als George W. Bush 2005 seine zweite Amtszeit antrat, wurden 250000 Zuschauer gezählt. Trotz Rezession und Terrorangst ist die Obamania auch sieben Wochen nach der Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten nicht abgeklungen. Die Tickets für die Vereidigung um die Mittagszeit am 20. Januar, die kostenlos verteilt werden, erzielen auf dem Schwarzmarkt Preise bis zu 40000 Dollar. So liest man jedenfalls.In der allgemeinen Euphorie ist es allerdings schwierig, Wahrheit und Dichtung zu unterscheiden. So mietete angeblich ein potenter Kunde ein ganzes Haus in Washington für stolze 50000 Dollar pro Woche. Abgewickelt wurde der Handel über die Internetseite www.craigslist.org, auf der bis heute Tausende Hauptstädter eine kostenlose Kleinanzeige aufgegeben haben. Darunter ist offenbar auch der gescheiterte republikanische Präsidentschaftskandidat Fred Thompson, der 30000 Dollar für seine zentral gelegene 2-Zimmer-Wohnung fordert. Dafür darf man auch fünf Tage bleiben.Stundenlanges Warten«Ich glaube, die Leute haben die grosse Illusion, dass sie viel Geld machen können», sagt der Immobilienmakler Andre Butters. Das sei aber nicht realistisch. Der Mann muss es wissen, versucht er doch ebenfalls, zu den Gewinnern zu gehören. Weil das normale Geschäft schlecht läuft, hat er die Internetseite Inauguralhomes.com gestartet, die Angebot und Nachfrage zusammenbringt. Für 500 bis 800 Dollar pro Nacht bekomme man auf jeden Fall etwas Ordentliches, sagt Butters. Man tut allerdings gut daran, seine Zelte möglichst dicht an der Mall aufzuschlagen, dem Streifen Gras zwischen dem Parlamentsgebäude und den Denkmälern für Washington und Lincoln, wo die grosse Feier stattfindet.Treffen nämlich die Vorhersagen der Stadtväter ein, wird am 20. Januar der Verkehr im Zentrum der Hauptstadt zusammenbrechen. Selbst wenn der Veranstaltungsort aus Sicherheitsgründen nicht weiträumig abgesperrt würde, gäbe es dort keinen Platz für die mehr als 10000 Busse, die in Washington erwartet werden. Die Betreiber der Washingtoner U-Bahn gehen gar nicht erst davon aus, dass sie den Massen Herr werden und empfehlen dringend, Distanzen von weniger als drei Kilometern zu Fuss zurückzulegen. Die Wartezeit auf einen freien Stehplatz in einem der Züge könne Stunden betragen. Und wer es durch alle die Sicherheitsvorkehrungen tatsächlich nahe heran an die Zeremonie oder die Parade vom Parlamentsgebäude zum Weissen Haus schaffe, sollte sich darauf gefasst machen, dass es bis zu acht Stunden dauern kann, ehe der Letzte das Areal verlassen hat. Weder etwas zu Essen noch etwas zu Trinken wird es dort geben, Kinderwagen und Rucksäcke sind verboten. Das Organisationskomitee warnt zudem vor den meteorologischen Komplikationen: Im Januar ist es in Washington in der Regel sehr kalt. Die Sprecherin der Verkehrsbetriebe sagt: «Wir werden so viele Besucher transportieren, wie wir können. Aber wir werden nicht alle schaffen. Ehrlich gesagt, der beste Platz ist vor dem Fernseher.»Party bis in den frühen MorgenWer sich doch in das Gewühl wagt, muss wenigstens nicht fürchten, am Ende des Tages gänzlich auf dem Trockenen zu sitzen. Das Stadtparlament hat entschieden, dass die Sperrstunde für die Ausgabe alkoholischer Getränke um drei Stunden auf 5 Uhr in der Früh verlängert wird. Die Restaurants dürfen ausnahmsweise 24 Stunden am Stück geöffnet sein. Begehrt sind zudem die Tickets zu den Bällen, die Washington eine ganze Woche in Atem halten. Wer dabei den neuen Präsidenten und seine Gattin Michelle sehen will, muss bis zu 50000 Dollar für ein Ticket hinblättern. Hollywood-Stars wie Sharon Stone, Halle Berry und Jamie Foxx haben das bereits getan. «Wir sind uns bewusst, dass die Menschen im Augenblick schwer strampeln», sagt die Sprecherin des Organisationskomitees für die Amtseinführung. «Andererseits bietet der Tag eine gute Gelegenheit für Menschen, zusammenzukommen und gemeinsame Werte und Ziele zu teilen.» Jedenfalls solange die Kreditkarte nicht überzogen ist. Matthias B. Krause, Seattle>
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch