Drei Viertel des Autobahn-Verkehrs sind «hausgemacht»
Bund und Kanton Bern sind sich einig: Das Autobahnnetz um Bern ist überlastet. Bezüglich der Lösungen gehen die Meinungen aber auseinander. Erwin Wieland, Astra-Vizedirektor, sagt es klar: Den vom Kanton forcierten Tunnel vom Grauholz ins Weyermannshaus wird es nicht geben.
«Bund»:Viele Kantone möchten Bundesgelder für ihre Autobahnprojekte. Wie umfangreich ist die Wunschliste bei Ihnen auf dem Pult?
Erwin Wieland:Es gibt viele Wünsche. Einerseits für Engpassbeseitigungen auf bestehenden Autobahnen, andererseits für neue Verbindungen. In der ersten Kategorie liegen uns Projektideen im Umfang von rund 15 Milliarden Franken vor, in der zweiten Kategorie von rund 16 bis 17 Milliarden Franken.
Im Bundesprogramm zur Engpassbeseitigung auf Schweizer Autobahnen, das momentan in der Vernehmlassung ist, stehen aber kaum über 30 bis 35 Milliarden Franken zur Verfügung...
Nein. Im Rahmen des Infrastrukturfonds haben wir 5,5 Milliarden.
Wünsche und vorhandene Mittel liegen weit auseinander. Wie können die Kantone Einfluss auf den Entscheidprozess nehmen?
Weil das Astra erst seit 2008 alleine für die Nationalstrassen zuständig ist, stammen viele Projektideen noch von den Kantonen. Wir haben mit ihnen eruiert, wo die grössten Engpässe bestehen. So konnten sie Einfluss nehmen. Letztlich muss dann aber das Astra den eidgenössischen Räten vorschlagen, welche Engpässe mit den vorhandenen Geldern beseitigt werden sollen.
Ist Ihre Arbeit nicht frustrierend? Sie können ja niemals alle Wünsche erfüllen und stehen am Schluss in jedem Fall als Buhmann da...
Es ist in der Tat eine Herausforderung, die vielen Begehren mit den finanziellen Möglichkeiten in Übereinstimmung zu bringen.
Wie schlimm sind die Engpässe auf dem Autobahnnetz im Raum Bern?
Im schweizerischen Vergleich sind sie gravierend. Prognosen zufolge wird der Verkehr auf den Autobahnen zunehmen. Auf der A6 im Bereich Ostring/Muri rechnen wir in 10 bis 20 Jahren bei gleichbleibendem Autobahnnetz mit täglich zwei bis vier Stunden Stau. Im Norden Berns mit ein bis zwei Stunden.
Der Bypass Nordwest, ein acht Kilometer langer Tunnel unter der Aare hindurch, wird von Regierungsrätin Barbara Egger (sp) als planerisches Glanzstück bezeichnet, das Astra hingegen ist gar nicht begeistert. Weshalb?
Auch Tunnellösungen haben erhebliche ökologische Auswirkungen. Der Zusammenschluss des neuen Teilstücks mit dem bestehenden Autobahnnetz erfolgt über zweigeschossige Bauwerke, die viel Fläche beanspruchen und Landschaft und Siedlung stark beeinträchtigen. Lüftung und Beleuchtung des Tunnels verschlängen viel Strom, die Unterquerung der Aare könnte die Grundwasserströme negativ beeinflussen. Auf einem Plan sieht eine Tunnellösung harmlos aus. Aber welche Konsequenzen ein solches Projekt tatsächlich hätte, ist vielen Leuten nicht bewusst.
Mit Verlaub: Der zweite Felsenau-Viadukt, den das Astra stattdessen zur Entlastung von Bern Nord möchte, ist auch nicht unbedenklich...
Kanton und Stadt Bern wehren sich gegen den zweiten Felsenau-Viadukt, weil sie den Eingriff in das Landschaftsbild als zu gross erachten. Ich will dieses Problem nicht herunterspielen. Doch der wirklich gravierende Eingriff in Natur und Landschaft ist bereits mit dem Bau des ersten Viadukts geschehen.
Sie haben bis jetzt den Aspekt des Geldes unerwähnt gelassen...
Das Geld spielt eine wesentliche Rolle. Der zweite Felsenau-Viadukt würde 400 Millionen Franken kosten, der Tunnel 2,4 Milliarden, also sechsmal mehr. Unter diesem Umstand kann für uns ein solcher Bypass nicht infrage kommen.
Das tönt ziemlich definitiv.
Sie müssen bedenken: Das Astra hat den Auftrag, den Netzgedanken gesamtschweizerisch zu leben – von Genf bis Romanshorn, von Basel bis Chiasso. Es braucht eine Gleichbehandlung der Kantone nach transparenten Kriterien. Wir wollen und dürfen keinen Kanton bevorzugen. Es gibt gravierende Engpässe auf den Autobahnen bei St. Gallen, Luzern, Schaffhausen und Genf, die wir aus finanziellen Gründen bisher nicht lösen konnten. Allein deshalb ist ein Tunnel in Bern für 2,4 Milliarden Franken nicht machbar. Immerhin wollen wir Bern für den zweiten Felsenau-Viadukt und den Bypass Ost 1,5 Milliarden zusprechen; angesichts der Tatsache, dass für die ganze Schweiz 5,5 Milliarden Franken zur Verfügung stehen, kommt der Raum Bern sehr gut weg.
Stadt und Kanton Bern haben sich klar gegen den zweiten Felsenau-Viadukt ausgesprochen. Achtet das Astra bei seiner Projektwahl auch auf die politische Machbarkeit?
Die Umsetzbarkeit ist ein wichtiges Thema. Hier muss sich die Region Bern aber die Frage stellen: Will sie auf der Tunnellösung beharren, die in mittlerer Zukunft nicht realisierbar sein wird, oder einigt sie sich auf den eher realisierbaren zweiten Felsenau-Viadukt?
Das tönt nach einer schwierigen Auseinandersetzung, die sich da anbahnt. Es erscheint heute unwahrscheinlich, dass ein zweiter Felsenau-Viadukt politisch jemals mehrheitsfähig wird...
Bernerinnen und Berner müssen sich bewusst sein: Drei Viertel des Verkehrs auf den Autobahnen um Bern sind «hausgemacht», also nicht Transitverkehr. Stemmt sich Bern gegen den zweiten Felsenau-Viadukt und wird auch der Tunnel nicht gebaut, werden die Staus zunehmen. Dadurch steigt das Risiko, dass die Autofahrer vermehrt auf das städtische Strassennetz ausweichen und dort mehr Staus verursachen. Das hätte ökologisch und städtebaulich erhebliche Konsequenzen.
Heisst das also: Wenn das Astra den Tunnel und Bern den zweiten Felsenau-Viadukt nicht will, dann geschieht gar nichts?
Fakt ist, dass die dringenden Autobahnprojekte die verfügbaren finanziellen Mittel weit übersteigen. Wenn man zum Schluss kommt, dass der zweite Felsenau-Viadukt politisch nicht machbar ist, könnten die eidgenössischen Räte durchaus andernorts ein umsetzbares Projekt finanzieren. Schliesslich machen wir im Programm zur Beseitigung der Engpässe auf dem Autobahnnetz nur Vorschläge.
Ihr Motto lautet also: Nehmt es, oder ihr seid selber schuld.
Wie bereits gesagt: Kanton und Region Bern verursachen den grössten Teil ihres Verkehrs selber. Der Bund hilft zwar, Lösungen zu finden, er kann dafür aber nicht unbeschränkt finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Wenn wir mit den Kantonen keine Lösungen finden, leiden sie letztlich selber am meisten darunter.
Wie ist das Verhältnis zwischen dem Astra und dem Kanton Bern?
Es ist ein normales Verhältnis, Bern ist ein verlässlicher Partner.
Auch beim Projekt Bypass Ost gibt es Widerstand. Auf verschiedenen politischen Ebenen wird verlangt, dass auf dem Gemeindegebiet Muri die sechsspurige Autobahn überdeckt wird. Die Pläne des Astra widersprächen «in krasser Weise» einer siedlungsverträglichen Lösung, heisst es. Was sagen Sie dazu?
Eine weiträumigere Umfahrung von Muri wurde aus Kosten-Nutzen-Gründen verworfen. Optimierungen am vorliegenden Projekt sind noch möglich, allerdings stellt sich auch hier die Frage, wie sehr das Projekt dadurch verteuert würde und inwieweit Stadt, Kanton und Gemeinde bereit sind, allfällige Mehrkosten für städtebauliche Aufwertungen mitzutragen.
In Bern gibt es auf politischer Ebene die Forderung, das Autobahnteilstück zwischen Kleiner und Grosser Allmend zu überdecken, um auf dem Dach Fussballfelder zu bauen. Was halten Sie davon?
Da gilt das Gleiche wie vorhin bei Muri: Wenn der Bypass Ost konkretisiert wird, müssen wir das mit Stadt und Kanton genauer analysieren und auch über die Finanzierung solcher Massnahmen sprechen.
Im Berner Ostring wird ein Teilstück der A6 sogar zurückgebaut. Weshalb will der Bund viel Geld für Rückbauten ausgeben, statt es für neue Projekte zu verwenden?
Der Berner Ostring ist ein Gebiet, das heute städtebaulich stark beeinträchtigt ist. Wenn wir dieses Gebiet tatsächlich untertunneln, kann die Stadt stark profitieren. Wie der Rückbau aussehen würde, ist offen.
Ein Autobahnprojekt, das sich hartnäckig in jedem Planungsinstrument hält, ist der neue Anschluss im Grauholz. Was halten Sie davon?
Lassen Sie mich Folgendes sagen: Ursprünglich wurde das Schweizer Nationalstrassennetz für 280 Anschlüsse konzipiert. Heute haben wir mehr als 440, zudem existieren zahlreiche Gesuche für weitere Anschlüsse. Die Schweiz hat eine der weltweit höchsten Anschlussdichten auf dem Autobahnnetz. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite sollen die Autobahnen in den Agglomerationen das städtische Verkehrsnetz durchaus entlasten helfen. Insofern stecken wir bezüglich Anschluss Grauholz etwas in einem Dilemma.
Das tönt nach Paradigmenwechsel. Noch vor wenigen Jahren war das Astra strikte gegen neue Autobahnanschlüsse...
Wir müssen uns fragen, welche Aufgabe das Nationalstrassennetz wahrnehmen soll. Mit jedem zusätzlichen Anschluss übernimmt das Netz vermehrt lokale Aufgaben und ist dadurch weniger ein Netz, das primär dem übergeordneten Verkehr dient. Diese Grundsatzfrage ist noch nicht abschliessend beantwortet. Was sich aber schon heute sagen lässt: ohne funktionstüchtige Stammstrecken keine neuen Anschlüsse.
Wie meinen Sie das?
Zusätzliche Anschlüsse ergeben nur dann einen Sinn, wenn die Autobahn die zusätzlichen Autos auch aufnehmen kann. Die Autobahnen im Raum Bern sind heute schon voll. Es macht also keinen Sinn, noch mehr Verkehr zuzuführen, solange die Kapazität des Autobahnnetzes nicht erweitert wird.
Wann wird der Felsenau-Viadukt gebaut?
Die Laufzeit des Infrastrukturfonds ist auf 20 Jahre beschränkt, 2028 wird diese Finanzierungsquelle also versiegen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die Projekte innerhalb der nächsten 20 Jahre realisiert sein.
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