Zwei wie Feuer und Eis, sagen Amerikaner, wenn sie bei Menschen extreme Gegensätzlichkeit betonen wollen. Vor dem ersten Treffen von Angela Merkel und Donald Trump dreht dieses Bild auf beiden Seiten des Atlantiks gerade in Endlosschleife. Tatsächlich sind in der Politik grössere Charakterunterschiede schwer vorstellbar. Hier der neue amerikanische Präsident: ein Polterer, laut, risikofreudig, unberechenbar, eher Geschäftsmann als Politiker, interessiert am schnellen Deal, nicht an Details. Da die deutsche Kanzlerin: seit zwölf Jahren die mächtigste Frau der Welt, eine kühle, beharrliche Pragmatikerin, die Emotionen verbirgt, Vorsicht und Verlässlichkeit über alles stellt, strategisch denkt und Akten liest, bis sie Probleme analytisch durchdrungen hat.
Kühle Gratulation
Dieser Antagonismus blitzte schon im US-Wahlkampf auf. Der Immobilienmogul beschimpfte die Deutsche, die er einst für ihre Führungsstärke gelobt hatte, für ihre Flüchtlingspolitik. Er bezeichnete diese wahlweise als «geisteskrank», «katastrophal» oder «ruinös». Merkel war ob dieser und anderer Unflätigkeiten entsetzt. Im Unterschied zu ihrem Aussenminister, der Trump einen «Hassprediger» nannte, reagierte sie aber öffentlich mit keinem Wort darauf. Nach dessen Wahl gratulierte sie Trump in einer kurzen, kühlen Ansprache, von der vor allem die Mahnung an die gemeinsamen «westlichen Werte» in Erinnerung blieb, die sie zur Bedingung ihrer Zusammenarbeit machte. Von Trump-Verächtern rund um die Welt wurde Merkel zur «letzten Verteidigerin» und «Retterin der freien Welt» ausgerufen – eine Ehre, die sie als «geradezu absurd» ablehnte.
Es erschien deshalb als symbolhaft, dass der erste Anlauf von Merkels Reise nach Washington am vergangenen Montag in letzter Minute abgebrochen wurde, weil an der Ostküste schwere Schneestürme bevorstanden. Wenn Merkel Trump heute, im zweiten Anlauf, erstmals besucht, handelt es sich wohl um eine der heikelsten Begegnungen ihrer Kanzlerschaft. Im Umgang mit egomanischen, machtversessenen Alphamännchen hat sie freilich grosse Übung: Sie hat schon den Russen Putin in Schach gehalten, mit dem Türken Erdogan verhandelt, dem Ungarn Orban die Stirn geboten, den Chinesen Xi oder Hu entgegnet oder den Italiener Berlusconi um den Finger gewickelt. Es lohnt sich, in Erinnerung zu rufen, dass selbst die Anfänge mit Trumps Vorgängern Obama und Bush jr. eher ruppig als harmonisch verliefen.
Seit Wochen hat sich Merkel auf das Treffen mit dem Mysterium im Weissen Haus akribisch vorbereitet. Sie studierte Dutzende Reden und Interviews mit Trump, bis hin zu einem legendären Gespräch im «Playboy» von 1990. Sie schickte letzte Woche ihre wichtigsten aussen- und wirtschaftspolitischen Berater zu Jared Kushner, Trumps einflussreichem Schwiegersohn. Und sie sprach, zuerst mit der Britin Theresa May und dann mit anderen Regierungschefs, über deren erste Besuchserfahrungen. Merkels grösste Sorge gilt offenbar Trumps Unberechenbarkeit, die vor den Kameras schnell zu peinlichen Bildern führen kann. Die Kanzlerin hat sich zum Beispiel bestimmt schon genau überlegt, wie sie Trumps Dominanzgehabe beim Händeschütteln unterläuft.
Aber nicht nur was Charakter und Stil angeht, auch bei den Überzeugungen sind die Differenzen enorm. Während Trump mit Putin gerne «ein paar gute Deals» abschliessen möchte, sorgt sich Merkel um den Frieden in Europa. Der Amerikaner freut sich über die Aussicht, die EU könnte zerfallen, Merkel tut alles, um sie zusammenzuhalten. Trump hat die Nato für «obsolet» erklärt, Europa und Deutschland sind für ihre Sicherheit auf das Bündnis zwingend angewiesen.
Video – Merkel meets Trump, worum gehts?
Angesichts divergierender Aussagen der neuen US-Regierung weiss man in Berlin noch nicht, welche aussenpolitische Linie Trump tatsächlich verfolgt. In Merkels Umfeld ist man derzeit «vorsichtig zuversichtlich», dass sich die bedachteren Positionen des Aussen- und des Verteidigungsministers auf Dauer gegen die Konfrontationsstrategie der Ideologen durchsetzen werden. Dafür bereitet sich das Kanzleramt in Handelsfragen auf das Schlimmste vor. Falls Trumps «America first»-Doktrin zu rabiatem Protektionismus und eigentlichen Handelskriegen führt, könnte die Weltwirtschaft in eine ernste Krise geraten. Export-Champion Deutschland würde vermutlich zu den grössten Verlierern zählen. Trumps Regierung hat Berlin wegen dessen hoher Exportüberschüsse bereits mit Strafsteuern gedroht.
Auch innenpolitisch heikel
Merkel wird versuchen Trump davon zu überzeugen, dass Freihandel zwischen Europa und den USA beiden Seiten nützt. Sie bringt zu diesem Zweck eigens die Chefs von Siemens und BMW sowie des Autozulieferers Schaeffler ins Weisse Haus mit. Die drei deutschen Unternehmen haben in den USA Fabriken mit Zehntausenden gut bezahlten Arbeitsplätzen aufgebaut. Für den Fall, dass Trump dennoch den Konflikt sucht, wird Merkel ihm klarmachen, dass die EU allfällige Importsteuern als illegale «Strafzölle» betrachten und bei der Welthandelsorganisation (WTO) dagegen klagen werde. Auch ein Hinweis auf schmerzlichere Gegenmassnahmen, die in Berlin und Brüssel derzeit entwickelt werden, wird kaum fehlen.
Nicht zuletzt ist der Besuch bei Trump für Merkel auch innenpolitisch ausserordentlich heikel. In kaum einem anderen westlichen Land ist der Widerwille gegen den Neuling im Weissen Haus so extrem wie in Deutschland. Während Martin Schulz, Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten, im Hinblick auf die Bundestagswahl im Herbst keine Gelegenheit auslässt, über Trump zu zetern, muss die Kanzlerin eine vernünftige Arbeitsbeziehung aufbauen. Sie muss darum konstruktiv sein, darf aber auf keinen Fall wie eine Bittstellerin wirken. Sie muss die gemeinsamen Werte von Demokratie und Freiheit anmahnen, aber vermeiden, wie eine Oberlehrerin aufzutreten.
Wenn Feuer auf Eis trifft, so lehrt die Erfahrung, ist die Chance ziemlich gross, dass es bald zischt und raucht. Da kann die Eiskönigin noch so geübt sein.
Bildstrecke – wenn Trump im Weissen Haus zu Besuch lädt:
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Dompteuse Merkel vor ihrer härtesten Nummer
Jetzt gilts ernst: Die Kanzlerin trifft in den nächsten Stunden Donald Trump. Warum dieser Besuch zur Herausforderung wird.