
Bringt es nichts, wenn ich aufhöre, Nespresso-Kapselkaffee oder T-Shirts bei H&M zu kaufen, um Mensch und Umwelt zu schonen? Nein, sagt Journalistin und Buchautorin Kathrin Hartmann. Im Interview mit dieser Zeitung zu ihrem Buch «Die grüne Lüge» erklärt sie, dass es zwar erfreulich sei, wenn Leute ihren Konsum einschränken. Durch eine Ansammlung unterschiedlicher individueller Einkaufsentscheidungen entstünde kein Markteinfluss, der Unternehmen dazu zwingen würde, besser oder weniger zu produzieren. Auch findet sie es zynisch, die Entscheidung für oder gegen Ausbeutung und Zerstörung uns, den Konsumenten, zu überlassen. Erst soll die Politik die grossen Konzerne, die Ausbeutung und Umweltzerstörung betreiben, in die Schranken weisen.
Mag sein. Ich frage mich an dieser Stelle aber, ob es nicht genauso zynisch ist, zu warten, bis andere etwas ändern. Ich frage mich auch, wieso unser Einfluss auf die Konzerne bisher so klein war.
Vielleicht, weil wir als Konsumenten es einfach nicht schaffen, uns geschlossen hinter einen Boykott zu stellen, umzudenken und konsequent zu handeln. Denn oft sind wir einfach zu bequem. «Ach, komm, nur noch dieses eine Mal gehe ich bei H&M einkaufen.» Oder: «Ich mag Avocados einfach so schrecklich gerne. Da gönn ich mir halt wieder eine.»
Selbstverständlich soll man sich über Konzerne beschweren, die die Umwelt zerstören und Arbeitende ausbeuten. Aber man kann die Verantwortung auch nicht einfach von sich selbst wegschieben. Veränderungen verlangen ab und zu, dass man Unbequemlichkeiten auf sich nimmt. Der ökologische Fussabdruck reduziert sich nun einmal nicht, wenn man ab und zu Bio einkauft, aber trotzdem in Einfamilienhaus wohnt, zwei Autos besitzt und jedes Jahr in die Ferien fliegt und bereits das dritte oder vierte iPhone besitzt. Diese Lebensform erachten wir hier als weitgehend normal.
Der Ikea-Reflex
Es ist erschreckend, wie bequem verschwenderisch wir uns hier durch den Alltag müllen. Ist was kaputt, kauft man ein Neues. Man kann es sich ja leisten. Und das Angebot steht bereit. Bei Ikea zum Beispiel. Der Ikea-Reflex scheint bereits tief eingebrannt. Klar, alles ist (verhältnismässig) günstig, und jemand anderen fragen, ob er das kaputte Regal vielleicht reparieren kann, wenn mans selbst nicht schafft, scheint aufwendiger. Im Bekanntenkreis oder im Internet herumzufragen, ob jemand ein Regal hat, das er nicht mehr braucht, scheint ebenfalls aufwendiger. Sogar peinlich. Man will sich nicht die Blösse geben. «Ich gehe doch nicht rumbetteln oder benutztes Zeugs einkaufen auf irgendwelchen schummrigen Ramschplattformen.»
Dabei gäbe es tonnenweise Angebote gebrauchter und praktisch neuer, einwandfreier Gegenstände, online, offline, auf der Strasse, auf Flohmärkten – Möbel, Küchengeräte, Kleider, Kinderspielsachen. Aber man kauft lieber sein eigenes, neues.
Und dann wäre da noch die Sache mit den Lebensmitteln, die man wegschmeisst. Auch das passiert oft aus Bequemlichkeit. Ich habe schon das Argument gehört: «Ich will ja nicht zweimal hintereinander dasselbe essen.» Sowieso ist es ja einfacher, das Übrige wegzuschmeissen, als es in ein Tupperware in den Kühlschrank zu stellen und es am nächsten Tag zu essen. Einfach, weil man es jetzt im Moment grad nicht mehr braucht und man sich für morgen eh was Neues kaufen kann.
Ich konsumiere, also bin ich
Diese Haltung, diese Bequemlichkeit, diese Ignoranz, die schleckt kein umwelt- und menschenschädigender Konzern weg. Dafür sind wir ganz alleine verantwortlich. Und das Ausmass, welches diese Bequemlichkeit angenommen hat, und wie stark sie in der Gesellschaft akzeptiert ist, finde ich erschreckend. Schlimmer noch: Dass man sich das alles leisten kann, gilt oft als ansehnlich. «Die habens geschafft und können sich eine tolle neue Möbelgarnitur leisten. Die alte war zwar einwandfrei, landet auf dem Sperrmüll, aber diese neuen Möbel, toll.»
Dasselbe gilt auch bei modernen, modischen jungen Leuten. Kommt ein neuer Trend, tragen plötzlich alle die gerade angesagten Markenklamotten, schmücken sich mit den dazugehörigen Accessoires und rollen auf trendigen fahrbaren Untersätzen. Kein Mensch soll mir erzählen, dass all diese Produkte gebraucht oder nachhaltig hergestellt sind, auch wenn die Besitzer sich stets als alternativ ausgeben. Der Lebensstil wird mit viel unvertretbarem Konsum zelebriert. Das ist bei Gott nicht alternativ.
Um wirklich Alternativen zur aktuellen Verschwendungslage zu finden, muss man reflektieren, überlegen, umdenken, Neues ausprobieren, Gewohnheiten ablegen, Unbequemes auf sich nehmen und unbequem werden. Und das kann uns kein Bio-Label oder Fair-Trade-Zertifikat und auch nicht die Politik abnehmen.
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Doch, Verzicht bringt etwas
Die Politik soll Konzerne dazu zwingen, fair und nachhaltig zu produzieren, findet Autorin Kathrin Hartmann. Einspruch: Jeder sollte bei sich selbst anfangen.