
Ob die angekündigten Lockerungen weit genug oder zu weit gehen, zu früh oder zu spät kommen – es gibt keinen objektiven Befund, die Antwort hängt von der Einschätzung mehrerer Risiken ab. Was eindeutig ist: Mit seinem groben Plan für die Rückkehr zur Normalität gibt der Bundesrat den Menschen minimale Perspektiven zurück. Psychologisch ist das dringend nötig und epidemiologisch vertretbar. Die Zeit ist reif, im Umgang mit Covid neu zu rechnen.
Der liberale Thinktank Avenir Suisse hat diese Woche gefragt: Ist es gerechtfertigt, dass fünf Personen ein Jahr lang im Teil-Lockdown leben müssen, um das Leben eines Menschen um ein Jahr zu verlängern? Bisher führten solche Diskussionen auf heikles Terrain. Nun ist das anders.
Dank der Impfung sinkt die Gefahr, dass die Spitäler plötzlich nicht mehr jene Hilfe leisten können, die in einem Land wie der Schweiz jederzeit sichergestellt sein muss. Voraussichtlich Ende April sind die Risikogruppen geimpft, dann wird die Zahl der Spitaleinweisungen und Todesfälle nochmals kleiner. Die täglichen Fallzahlen verlieren so ihren Schrecken, denn selbst wenn sie vorübergehend wieder steigen sollten, ist das weniger schlimm als bisher. Um Gegensteuer zu geben, gibt es inzwischen die Möglichkeit gezielter Massentests.
Während das Risiko der Schutzbedürftigen sinkt, ist der Preis für alle anderen gestiegen.
Während das Risiko der Schutzbedürftigen sinkt, ist der Preis für alle anderen gestiegen. Junge Menschen leiden psychische Not und sind frustriert, weil sie privat und beruflich um Chancen gebracht werden. Es gibt mehr Arbeitslose und Suizide. Die Staatshilfe für darbende Branchen wird immer teurer. Der Schaden, den die Covid-Einschränkungen anrichten, nimmt mit längerer Dauer tendenziell überproportional zu.
Niemand hat vergessen, wie die Schweiz in die zweite Welle hineingerasselt ist. Deshalb wollen jetzt weder der Bundesrat noch die Wirtschaftsverbände übermütig lockern – sondern Schritt um Schritt. Die neuen Virusvarianten können die absehbare Entspannung jederzeit verzögern. An der Gesamtrechnung, die eine neue Gewichtung der verschiedenen Risiken nahelegt, ändert das aber nichts.
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Kommentar zum Lockerungsentscheid – Die Zeit ist reif, bei Covid neu zu rechnen
Selbst wenn die Ansteckungen vorübergehend wieder steigen sollten: Schon in ein paar Wochen ist das nicht mehr so schlimm wie bisher.