War es die Alpenluft? Oder der Zauber der Schweiz? Ein zumeist pragmatischer und rationaler Präsident trat in Davos auf, ausgenommen gegen Ende der Frageminuten, als Trump wieder mal gegen die Medien keilte. Wie soll man aus diesem Präsidenten schlau werden? Zunächst einmal gilt es abzuwarten. Denn was Trump gestern oder vorgestern sagte, interessiert ihn morgen oder übermorgen keinen Deut.
Trump ist ein postmoderner Präsident, der sich seine Wahrheiten selber erschafft. Vielleicht hat er deshalb im ersten Amtsjahr nachweislich mehr als 2'100 Lügen und Halbwahrheiten in die Welt gesetzt. Sein Auftritt in Davos weckt Hoffnungen, dass der Präsident im zweiten Amtsjahr erwachsener und berechenbarer wird. Aber vielleicht verfliegen diese Hoffnungen so schnell wie sie nach Trumps erster Rede vor dem Kongress im Januar 2017 verflogen.
Nach dem politischen Kauderwelsch seiner Antrittsrede, als Trump versprach, das «amerikanische Blutbad» zu beenden – vom nahebei sitzenden Ex-Präsidenten George W. Bush gut überhörbar als «seltsame Scheisse» bezeichnet - , lieferte Trump eine gute, weil nachvollziehbare und pragmatische Rede vor dem Kongress ab. Wenig später aber war schon wieder Schluss mit Erleuchtung und ergossen sich feurige Tweets und blamable Äusserungen aufs konsternierte Publikum - weshalb sich auch der Davos-Trump neuerlich in einen selbstzerstörerischen politischen Amokläufer verwandeln könnte.
Keine Renaissance der Kohle
Davos bot Trump überdies eine Bühne ganz nach seinem Geschmack. Er konnte so tun, als habe allein er die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten in eine sprudelnde Quelle von Geld und Jobs verwandelt. Tatsächlich gebot der Präsident 2017 über ein Wirtschaftswachstum von nicht sonderlich beeindruckenden 2,3 Prozent. Es gibt gewiss devote Geister, die darin sogar einen Boom erblicken, auch wenn es keiner ist. Trotzdem: Dies ist Trumps Konjunktur, und sie läuft Anfang 2018 wie geschmiert. Mit einem Wachstum von 2,3 Prozent ist es allerdings unmöglich, die von der republikanischen Steuerreform in den amerikanischen Staatsetat gerissenen Löcher auszugleichen. Eine Billion Dollar und mehr sind sogar für den amerikanischen Staatshaushalt mehr als nur Klimpergeld. Kaum ein Unterschied ist hingegen bei der Beschäftigungszahl in der amerikanischen Kohleindustrie zu finden: Obschon Trump eine Renaissance der Kohle versprach und bei der Wahl 2016 damit in Kohlestaaten wie West Virginia oder Kentucky punktete, hält sich der Zuwachs von Arbeitsplätzen in den Zechen in Grenzen: 50'000 Kumpel bei Trumps Amtsantritt, 50'500 Ende 2017. Trump führt sich dennoch auf, als habe sich unter Tag ein Wunder ereignet.
Den Agrarstaaten schlottern die Knie
Wer das konstante Eigenlob dieses Präsidenten mitsamt seinen Übertreibungen und unbelegten Behauptungen als bare Münze nimmt, wird unweigerlich enttäuscht werden. In Davos tat Trump, als stünde «America First» Globalisierung und Freihandel nicht wirklich im Weg. Am Tag seiner Abreise in die Schweiz erhob seine Administration jedoch gesalzene Strafzölle auf südkoreanische Waschmaschinen und Solarzellen aus China. Republikanischen Senatoren aus Agrarstaaten wie den Dakotas oder Nebraska und Kansas schlottern denn auch die Knie, weil sie befürchten, Trump werde die festgefahrenen NAFTA-Verhandlungen mit Kanada und Mexiko torpedieren und die nordamerikanische Freihandelszone ruinieren. «Ein Abzug aus NAFTA wäre ein Desaster», warnt South Dakotas republikanischer Senator John Thune.
Die Welt bewegt sich ohne Trump weiter
Mit Vorsicht zu geniessen ist auch die nebenbei in Davos gefallene Äusserung Trumps, er könne sich nach dem amerikanischen Ausscheiden doch noch einen Beitritt zur «Trans Pacific Partnership» (TPP) vorstellen. Man müsse lediglich einen «besseren Deal» herausholen, sagte Trump. Das transpazifische Handelsabkommen aber wird Anfang März von den verbliebenen elf Staaten in Chile unterzeichnet werden. Die Welt bewegt sich ohne Trump und ohne die Vereinigten Staaten weiter, leere Plätze werden anderweitig vergeben, ein Vakuum von China und anderen gefüllt. Womöglich bedeutete Trumps Auftritt in Davos wirklich eine Wende, hin zu einer berechenbaren Politik und definiert von Trumps Einsicht, dass es letztendlich unproduktiv ist, stets einen Porzellanladen mit sich zu führen und darin schon des Showeffekts wegen kräftig zu toben. Andererseits wird vielleicht erst das Ende der Russlandermittlungen dem Präsidenten die nötige psychische Stabilität verschaffen. Trump beim Davoser Wort zu nehmen, ist jedenfalls etwas voreilig. Zumal der Verfasser seiner Rede, Wirtschaftsberater Gary Cohn, dem Weissen Haus bald den Rücken kehren dürfte. Ihn hat Trumps Zirkus erschöpft.
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Die Welt bewegt sich ohne die Vereinigten Staaten weiter
Hat das WEF ein Ende der pubertären Phase der Trump-Präsidentschaft angekündigt? Trumps Handelspolitik könnte darüber Aufschluss geben.