Die Unzuverlässigkeit des Glücks
Der Berner Rapper Baze lotet auf «Bruchstück» die menschlichen Tragödien aus. Nach Hip-Hop klingt das längst nicht mehr. Es ist ein herrlich düsterer Taumel.

Der Himmel ist grau, die Helden lecken Wunden, geraten aus der Bahn. Der Glückszenit ist überschritten. Aufbäumen zwecklos. Es sei denn, man löscht damit gleich sich und seine Liebsten aus. Aus Liebenden werden Leidende. Aus Leidenden Leidbringer.
Nein, das neue Album von Basil Anliker – besser bekannt als Baze – ist keine leichte Unterhaltungskost. Er wird damit kaum in die Hip-Hop-Hitparaden schiessen, jedenfalls hat er musikalisch rein gar nichts getan, dass dem so sein könnte. Das Album spielt in den Schattenhängen der menschlichen Seele. Und es ist dennoch – oder gerade deshalb – von grösster Kostbarkeit.
Es gibt Chronisten, welche die Jazzmusik in zwei Perioden einteilen: in jene vor Miles Davis' zukunftsweisendem Album «Bitches Brew» und in jene danach. Man dürfte dies in einiger Zeit im Felde des Berner Hip-Hop ähnlich handhaben. Das am Donnerstag erscheinende neue Album von Baze wird als Bruchstelle dienen. Weil es sich die Freiheit nimmt, ganz anders zu klingen als alles bisher Dagewesene. Weil es modern ist, ohne den Zeitgeist zu bemühen.
Bis anhin war die hiesige Sprechgesangsmusik grob gesagt ein musikalischer Nachzug auf alles, was es in der Hip-Hop-Welt schon gab: dieselben Muskelspielchen, die gleichen Methoden im Programmieren der Beat-Maschinen, die identischen Gesten, dieselben Drogen, derselbe Grössenwahn – bloss die behandelten Problemchen waren von regionaler Eigenart.
Baze steigt aus diesem Hip-Hop-Hamsterrad aus. Und er tut das mit grösstmöglicher Grandezza.
Dramaturgen des Elends
Auf «Bruchstück», so der Name seines neuen Albums, schaut er nicht zurück auf Gewesenes. Und schon gar nicht schaut er – ein altbekannter Hip-Hop-Reflex – nach den USA. Trap? Findet hier nicht statt. Mumble Rap? Oldschool? Alles weit weg. Radio-Hit gibt es keinen. Würde Radio Energy auch nur ein Stück dieses Albums anspielen, es würde Proteste hageln – und Hunderte Hörer würden verdutzt von den Laufbändern in ihren Fitness-Centern kippen. Korpulente Bass-Drums oder knackige Breakbeats sucht man ebenfalls vergebens.
Musikalisch ist «Bruchstück» eine psychedelisch verspiegelte Wunderkiste. Womöglich ist es eine Art Jazz, was hier die abgründige Poesie des Baze umschmeichelt. Doch das Piano, die diversen Orgeln und die Tiefton-Blasinstrumente (Benedikt Reising, Niklaus Hürny) wummern und irrlichtern auf eine Art, wie man es in keiner Jazzschule lernen kann.
Baze selber spricht denn auch nicht von einem Hip-Hop- Album: «Es ist ein Album ohne musikalische Regeln und Sachzwänge», sagt er. «Es fällt irgendwie aus der heutigen Zeit. Es ist analog, es enthält Lieder, die bis zu sieben Minuten dauern, es ist repetitiv, und das meiste wurde in einem Take aufgenommen.»
Architekten dieser Tonspur sind neben dem Bassisten Toni Schiavano der Tastenmann Fabian M. Müller und der Schlagzeuger Fabian Bürgi, die im richtigen Leben mit dem FM Trio eine Jazz-verwandte Kunstmusik voller obskurer Schönheit erschaffen. Auf «Bruchstück» amten sie als begnadete Atmosphäriker, als Erfinder feinster Groove-Patterns, als Designer und Dramaturgen des Unheilschwangeren. Hinter jeder harmonisch gesetzten Note wartet die Gefahr: mal in Form einer übersteuerten Dissonanz, mal in einer ungünstigen Wendung in den Geschichten des Basil Anliker.
«Bruchstück» ist durchzogen von einer bleiernen Schwermut. Das beginnt bereits auf dem schwarzweissen CD-Cover. Es ist ein Bild aus dem Nachlass des Polizeifotografen Werner Hächler – dem Grossvater von Basil Anliker: Mitten in Bern ist ein Auto in Flammen aufgegangen, schwarzer Rauch verdunkelt den Himmel. Im offenen Kofferraum ist ein Picknick-Korb zu erkennen. «Es ist eben ein schmaler Grat zwischen einem heilen, unbeschwerten Leben und dem Drama», sagt Baze. «Das Glück ist eine unsichere Angelegenheit.» Und genau davon erzählt dieses Album.
Es handelt vom abgestumpften Dahinleben vom Glück vernachlässigter Seelen. Und unter dem Dunst der Niedergeschlagenheit lodern mulmige Gewaltfantasien. Anlikers Protagonisten fällen falsche Entscheidungen oder sie verplempern ihre Jugend an den Gestaden des trüben Egelsees. Die Frauen, sie sind Segen und Verhängnis, meist aber Letzteres. Und die Liebe, sie ist eine Frage von Leben und Tod.
Tiefgründiger als der Rest
Bis anhin verkörperte Baze im Mikrokosmos des helvetischen Mundart-Rap den weisen, stets leicht brummigen Chronisten. Immer ein bisschen tiefgründiger, schwermütiger und ein wenig unaufgeregter als der Rest. Hip-Hop war nie das alleinige Zentrum seines musikalischen Interesses. So kollaborierte er immer mal wieder mit dem Berner Klang-Alchemisten Don Li, war zu Gast bei den Mundartpop-Neuerern Jeans for Jesus oder bei Endo Anaconda. Mit «Bruchstück» giesst Baze diese Freigeistigkeit in eine neue musikalische Form. Und er wird damit neue Massstäbe setzen.
Post-Party-Rap
«D Party isch verby», so hiess sein letztes Album aus dem Jahr 2010. Nun schlägt sich die Ankündigung also definitiv in seiner Musik nieder. Man könnte sie als Post-Party-Rap bezeichnen. Baze klagt eher, als dass er rappt. Doch so melancholisch sein Sprechgesang auch ist, er kippt nie ins Larmoyante oder Kitschige. Er bleibt auch im Rapportieren des Elends sonderbar gefasst. «Gegen Kitsch und Pathos habe ich gar nichts», wendet Baze ein. «Man darf sie nur nicht zu hell ausleuchten.»
Im letzten Stück des Albums lässt Baze seinen Helden langsam verbluten. Im Todeskampf, während er auf die Rettung durch seine Geliebte hofft, kommt ihm die Erkenntnis, dass das Leben eben doch eine «beschissä schöni Aaglägeheit» sei. Ein versöhnlicher Abschluss? Keineswegs. Es ist die Potenzierung der menschlichen Tragödie.
Baze: Bruchstück (Sound Service). CD-Taufe: Samstag, 18. März, Reitschule Dachstock.
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