Die Umrisse des schwer Fassbaren
Ein fulminanter Start und ein brillantes Finale haben Berns zeitgenössisches Theatertreffen geprägt und einmal mehr seine Bedeutung sichtbar gemacht: Produktionen, wie sie die Belgier Peeping Tom und das Berliner Gorki-Theater gezeigt haben, sind hier allzu selten zu sehen.
Manchmal lohnt sich das Warten. Gern hätte das Team von Auawirleben Peeping Tom schon früher nach Bern geholt. Aus verschiedenen Gründen hat es erst dieses Jahr geklappt. Statt nur einer Produktion konnte nun aber die Trilogie «Le Jardin – Le Salon – Le Sous Sol» gezeigt werden. Ein starker Festival-Auftakt der ausverkauften Vorstellungen, der die Entwicklung einer der innovativsten Tanztheatergruppen Europas und ihrer Suche nach unverwechselbaren Bildern sichtbar macht. So führte die belgische Truppe einen atemraubenden Tanz lang ein Glück von rarer inniger Schönheit vor: Trunken vor Liebe sind Mann und Frau, die die Finger nicht voneinander lassen können, dabei aber virtuos ihre vierjährige Tochter in ihre Symbiose integrieren.
Doch nicht nur Peeping Tom waren gefragt: Mit über 3200 Besucherinnen und Besuchern und einer Auslastung von 82 Prozent verzeichnete das Theaterfestival erneut einen Publikumsrekord. «In den letzten drei Jahren hat es richtig angezogen», kommentiert Ursula Freiburghaus vom Aua-Team den Publikumszuwachs von 30 Prozent gegenüber 2008. Dank einer Subventionserhöhung von 90000 Franken sind die Veranstalterinnen nun bei einem Budget von 480000 Franken in der Lage, mehr als eine der gefragten ausländischen Produktionen nach Bern zu holen.
So setzte das Maxim-Gorki-Theater aus Berlin einen nicht weniger brillanten Schlusspunkt mit zwei Aufführungen, wie sie allzu selten in Bern zu sehen sind und die das Thema des Theaterfestivals «Blessed Places – Places blesseés» (gesegnete und versehrte Plätze)in verstörenden Variationen inszenieren: Mit «Heaven (zu tristan)» (siehe Kasten) und dem preisgekrönten «Bulger» des flämischen Autors und Rechtsphilosophen Klaas Tindemans, in dem exemplarisch vorgeführt wird, wie Theater in der Lage ist, die Konturen des Unfassbaren sichtbar zu machen. Im Stück, das an den Fall eines Zweijährigen erinnert, der von zwei zehnjährigen Kindern ermordet wurde, wird nicht nach Erklärungen gesucht, und verzichtet wird auch auf Psychologisierendes. Tindemans gelingt es vielmehr, nüchtern eine abgeschottete Welt zu skizzieren, zu der den Erwachsenen der Zugang abhandengekommen ist. Eine Welt, deren Glaubwürdigkeit ein grossartiges Schauspielertrio steigert. Hier demonstriert Theater in seiner eindrücklichsten Form die Grenzenlosigkeit seiner Möglichkeiten, Abgründe der Gesellschaft zu reflektieren.
Krieg und Zwiespalt
Mit den Highlights aus Berlin und Brüssel konnten nur wenige der übrigen Inszenierungen mithalten. Etwa «Jenseits – bist du Türke oder schwul?» des Berliner Ballhauses Naunynstrasse, die mit viel umwerfendem Witz bekannte schwule und hetereosexuelle Klischees gleichermassen infrage stellte.
Zwiespältig waren die Resultate dort, wo mit Krieg und seinen Auswirkungen auf das Individuum auch kaum Vorstellbares auf die Bühne gebracht wurde. Die Basler Gruppe Cuckoos versuchte zwar, in «Das Heulen des Hundes» mit teilweise gelungenen Bildern die Verheerungen in Kopf und Seele zu lokalisieren, doch zu zahlreich waren die Szenen, die mit ihrer bedeutungsschwangeren Rätselhaftigkeit ins Betuliche kippten. Zum Krieg der teilweise reichlich banalen Worthülsen verkam Schimmelpfennigs «Für eine bessere Welt» in der Inszenierung der Berner Schauspielschule, derweil die Produktion «Bagdad brennt» des Theaters Freiburg mit dem Internet-Tagebuch einer jungen Irakerin eine neue Optik in einen altbekannten Konflikt einzubringen versuchte. Hier zeigte sich, wie schnell sich manchmal O-Ton-Texte überleben. Zu zahlreich waren die Déjà-vus, die der vor einem halben Jahr uraufgeführte Monolog auslöste.
Dafür überraschte der kurze feine Monolog «Meggiy geht zurück in den Kongo» einer abgewiesenen Asylbewerberin. Er spiegelte den hiesigen Umgang mit Fremden in einer ganz eigenen Sprache und belegte zudem auch das Gespür des Aua-Teams für kleine Produktionen mit grossen Momenten.
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