Die Telefonhotline für Gefangene ohne Geld
Ein Berner Pilotprojekt bietet Gefangenen kostenlosen Rechtsbeistand an. Die Nachfrage ist gross – doch das Angebot ist trotzdem gefährdet.

Hat ein an Hepatitis C erkrankter Ausländer in Haft ein Recht auf medizinische Behandlung? Untersteht ein 67-jähriger Insasse weiterhin der Arbeitspflicht? Muss ein Nichtraucher mit einem Raucher die Zelle teilen? Dürfen Angehörige beim Besuch nur durch Trennscheibe empfangen werden? Ein Anwalt kann für Gefangene diese Fragen rechtlich abklären, er kann Akteneinsicht verlangen, Beschwerde einreichen und individuelle Haftbesuche durchführen. Nur: Die allermeisten Gefangenen haben schlicht kein Geld, um einen Anwalt zu bezahlen.
Um dennoch ihren Rechtsanspruch geltend zu machen, können sie beim kantonalen Amt für Justizvollzug (AJV) ein Gesuch um kostenlose Rechtsberatung stellen. Aber die Hürden dazu sind hoch, denn bereits das Verfassen des Gesuchs erfordert juristischen Sachverstand. Um auch weniger gut situierten Gefangene zu ihrem Recht zu verhelfen, läuft im Kanton Bern seit rund sieben Monaten ein Projekt des Vereins Humanrights.ch. Das dreijährige Projekt betreibt an zwei Tagen pro Woche eine Telefonhotline, nimmt Anfragen per Post entgegen und erteilt kostenlose Rechtsberatung für Inhaftierte und ihre Angehörigen.
Eine «Filterfunktion» übernehmen
Geleitet wird das Projekt gemeinsam mit den Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS) und der Aktion der Christen für die Abschaffung der Folter (Acat). Hauptgeldgeber sind die römisch-katholische Kirche Bern und die reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Seit dem Start des Projekts im Februar seien rund 70 Anfragen eingegangen, was den «grossen Bedarf an Rechtsberatung» bestätige, sagt David Mühlemann, Leiter des schweizweit einzigartigen Projekts. Dabei sei die Art der Anfragen sehr verschieden und reiche von Beschwerden über das Essen bis zu Klagen über die restriktiven Haftbedingungen in Untersuchungshaft.
Es gehe bei dem Pilotprojekt auch darum, eine «Filterfunktion» zu übernehmen und den Inhaftierten zunächst einmal ihre rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen, sagt Mühlemann. Oft könnten hier bereits die Anhörung und das gemeinsame Betrachten des Sachverhalts als Erfolg gewertet werden. Komplexe Rechtsfragen leitet der Verein an externe Anwälte weiter. Es gehe dabei etwa um die Platzierung in einem «falschen Haftsetting» von nach Artikel 59 verurteilten Personen, sagt Mühlemann. Da geeignete Plätze und Therapieeinrichtungen fehlen, müssen psychisch kranke Gefangene teilweise jahrelang in für sie ungeeigneten Gefängnissen auf einen Therapieplatz warten.
Besonders drastisch veranschaulichte dies der Fall Igor L. Obwohl «nur» zu 14 Monaten Haft verurteilt, sass L. über fünf Jahre im Gefängnis, da im Kanton Bern geeignete Therapieplätze fehlen. Weitere Anfragen beträfen die Gewährung respektive Nichtgewährung von bedingten Entlassungen, welche entscheidend von den Berichten des Gefängnispersonals abhingen, so Mühlemann. Auch aus der Untersuchungshaft bekomme er Anfragen. Denn viele Insassen hätten kein Vertrauen in ihren vom Staatsanwalt ausgesuchten Pflichtverteidiger.
Gefängnisdirektor gibt Einblick
Im Mai präsentierte Humanrights.ch das Projekt den Gefängnisdirektoren und Vollzugsanstalten des Kantons und rannte dort offene Türen ein. Bereits vor der Präsentation hatte der Kanton dem Projekt seine ideelle und praktische Unterstützung zugesichert. Auch Marcel Klee, Direktor des Regionalgefängnisses in Burgdorf, befürwortet die kostenlose Rechtsberatung. Nach dem Treffen im Mai lud er Mühlemann ein, im August eine Woche im Alltagsbetrieb des Burgdorfer Gefängnisses zu verbringen. Er wollte mit dieser «Hospitation» dem Juristen Mühlemann eine «vertieftere Einsicht in die Praxis und den Alltag» im Gefängnis ermöglichen.
Es sei nun mal so, dass man nicht alle Wünsche der Insassen erfüllen könne, sagt Klee. Er unterstütze das Projekt aber auch deshalb, weil es unter Umständen auf «blinde Flecken unsererseits» hinweisen könne.
Beide, Mühlemann und Klee, bewerteten den einwöchigen Besuch als positiv und «vertrauensbildend». Als Nächstes will Mühlemann in den Gefängnissen Flyer auflegen, um auf das Angebot aufmerksam zu machen. Denn bisher wurde noch kaum Werbung gemacht. Sorgen bereitet Mühlemann jedoch die langfristige Finanzierung. Für die nächsten zwei Jahre sei man «dringend auf finanzielle Unterstützung angewiesen», sagt er.
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