
Sollen Menschen, die in der Schweiz geboren worden sind, leichter den Schweizer Pass erhalten? Das sei «überfällig» – sagte vor 27 Jahren der damalige Justizminister Arnold Koller. Es war nicht der erste und auch nicht der letzte Versuch, für Secondas und Secondos die erleichterte Einbürgerung einzuführen.
Nun hat die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (Grüne) die Debatte mit einem Vorstoss neu lanciert. Der Ständerat stimmte am Dienstag nicht darüber ab. Er beschloss, dass sich erst seine Staatspolitische Kommission mit dem Anliegen befassen soll.
Die Rede ist von Menschen, die seit ihrer Geburt in der Schweiz leben. Sie gehörten zur Schweiz, sagen die Befürworterinnen und Befürworter der erleichterten Einbürgerung. Erhielten sie das Bürgerrecht einfacher, diene das dem Zusammenhalt und stärke die Demokratie.
Die Schweiz ist in dieser Frage rückständiger als die meisten anderen Länder.
Heute verfügt mehr als ein Viertel der Bevölkerung über keinen Schweizer Pass. Damit sei die Schweiz nur eine «Dreivierteldemokratie», sagt der St. Galler SP-Ständerat Paul Rechsteiner. Er schlug eine radikalere Änderung vor: Wer in der Schweiz geboren wird, soll das Bürgerrecht automatisch erhalten, nach dem sogenannten Ius soli.
Der Bundesrat stellte sich gegen beide Vorschläge – auch gegen den moderateren von Mazzone. Nur wer erfolgreich integriert sei und keine Gefährdung der Sicherheit darstelle, sollte das Schweizer Bürgerrecht erhalten können, schrieb er in seinen Stellungnahmen. Mit anderen Worten: Der Bundesrat zweifelt an der Integration von Secondos und Secondas.
Die automatische Einbürgerung bei Geburt in der Schweiz kommt für den Bundesrat erst recht nicht infrage. Justizministerin Karin Keller-Sutter warnte vor Touristen, die zwecks Bürgerrecht ihre Kinder in der Schweiz zur Welt bringen könnten. Paul Rechsteiner erwiderte vergeblich, das liesse sich verhindern – etwa mit der Bedingung, dass die Eltern eine bestimmte Zeit im Land gelebt haben. Sein Vorstoss war chancenlos.
Seltsames gesellschaftliches Selbstverständnis
Mazzones Vorschlag – die erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation – dürfte dagegen Chancen haben, auch vor dem Volk. Die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation – der Enkel von Einwanderern – hiess die Stimmbevölkerung 2017 mit einem Ja-Stimmen-Anteil von über 60 Prozent gut. Das Parlament hatte sich zuvor schwerergetan. In langen Debatten stritten die Räte darüber, ob ein Schulzeugnis der Grossmutter als Beweis dafür gelten soll, dass diese in der Schweiz aufgewachsen ist.
Frühere Vorlagen für die zweite Generation fanden im Bundesrat und im Parlament problemlos eine Mehrheit, scheiterten aber an der Urne: 1983, 1994 und 2003. Allerdings fehlte es 1994 bloss am Ständemehr, die Stimmbevölkerung sagte damals Ja. Sogar die SVP hatte sich dafür ausgesprochen. 2003 warnte die SVP dann vor «Masseneinbürgerungen», die Stimmenden lehnten die Vorlage mit 57 Prozent Nein-Stimmen ab.
Die Entwicklung der SVP beeinflusste die Haltung der anderen bürgerlichen Parteien: Heute sagt der Bundesrat Nein, das Parlament zögert. Das Bürgerrecht sei zu Recht an Anforderungen geknüpft, hiess es im Ständerat. Das mag man so sehen. Dass an der Integration von Menschen gezweifelt wird, die seit der Geburt in der Schweiz leben und hier zur Schule gingen, zeugt allerdings von einem seltsamen gesellschaftlichen Selbstverständnis. Die Schweiz ist in dieser Frage rückständiger als die meisten anderen Länder. Die Staatspolitische Kommission des Ständerates hat nun die Gelegenheit, das zu ändern.
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Analyse zur erleichterten Einbürgerung – Die Secondo-Debatte ist neu lanciert
Der Ständerat will über die erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation nachdenken. Immerhin. Das Zögern zeigt jedoch, wie weit die Politik in solchen Fragen nach rechts gerutscht ist.