Die raffinierten Steuertricks des Gucci-Chefs
Mit einem Wohnsitz im Tessin, einer Briefkastenfirma in Luxemburg und zwei Arbeitsverträgen sollte der Chef des Luxuslabels Millionen sparen.

Am 17. Dezember 2014 laufen die letzten Schachzüge einer Lohnverhandlung der Extraklasse: Es geht um das Gehalt für den neuen Chef des Luxuslabels Gucci, Marco Bizzarri, 55. Gemäss Dokumenten soll er acht Millionen Euro pro Jahr erhalten. Und zwar netto – also nach Abzug aller Steuern.
Aushandeln muss diesen happigen Lohn das Mutterhaus von Gucci, der Mischkonzern Kering. Der Luxusgigant aus Frankreich hat einen Jahresumsatz von über 12 Milliarden Euro. Ihm gehören nicht nur Gucci, sondern auch Nobel-Labels wie Yves Saint Laurent oder Bottega Veneta.
Im Falle einer Vereinbarung über einen Nettolohn stünde Kering vor einem kniffligen Problem: Wie kann man Bizzarris Gehalt so ausbezahlen, dass möglichst wenig Steuern darauf anfallen und der künftige Chef am Schluss dennoch acht Millionen Euro bekommt?
Ausgeklügelte Manöver der Grosskonzerne
Die Steuern müssten möglichst klein sein, denn sie kämen ja zum Nettolohn noch hinzu, den Kering bezahlen müsste. Würde Bizzarri zum Beispiel an seinem Arbeitsort zu 50 Prozent besteuert, müsste Kering 16 Millionen bezahlen, damit der Italiener die versprochenen acht Millionen nach Steuern herausbekommt.
Bei einem normalen Angestellten in einem Land wie Italien oder der Schweiz hätte man da wohl nur wenig Optionen. Doch der SonntagsZeitung liegt nun eine Serie von Dokumenten, Mails und Verträgen zum Fall Gucci vor, die erstmals zeigen, mit welch ausgeklügelten Manövern internationale Grosskonzerne wie Kering solche Steuerfragen angehen. Die Dokumente gelangten zuerst ans französische Internetportal Mediapart, das sie mit dem Recherchenetzwerk EIC auswertete.
Es ist also der 17. Dezember 2014, 12.49 Uhr, als Bizzarri eine E-Mail von einem Kering-Spitzenmanager erhält. «Lieber Marco», heisst es, man habe nun einen Vorschlag für die «angestrebten Netto-Jahreskompensation» als CEO von acht Millionen Euro. Mit der Mail schicken die Kering-Bosse eine detaillierte, mehrseitige Steuerberechnung in Form einer Excel-Tabelle. Demnach sollte das ganze Steuerspar-Schema in drei Schritten ablaufen:
Schritt 1: Zwei Arbeitsverträge
Im Vorschlag an Bizzarri heisst es, «Wir bieten dir zwei Arbeitsverträge an.» Er solle nur rund 2,5 seiner 8 Millionen Euro über einen Vertrag in Italien von Gucci bekommen, der Firma, die er leitet.
Die verbleibenden 5,5 Millionen Euro soll er über einen zweiten Arbeitsvertrag erhalten, und zwar mit einer unauffälligen luxemburgischen Firma namens Castera. Gemäss den vorliegenden Dokumenten hat Bizzarri schon in seiner Zeit vor 2015, als er bereits als Manager für eine andere Kering-Tochter arbeitete, seinen Lohn von Castera bezogen.
Das Seltsame ist, dass er für diese Firma in Luxemburg nicht wirklich arbeitet. In seinem früheren Vertrag heisst es sogar explizit: «Der Angestellte (Bizzarri) darf keine seiner Pflichten oder seiner Geschäfte im Grossherzogtum Luxemburg verrichten und muss exklusiv im Ausland arbeiten.»
Die Schweizer Pauschalsteuer
Als es einmal darum ging, eine Adresse von Bizzarri in Luxemburg anzugeben, intervenierte sofort ein Anwalt für den Italiener. In einer Mail schrieb er: «Wie Sie sicher wissen, ist Herr Bizzarri ein Angestellter von Castera. Aber weil Herr Bizzarri nicht in Luxemburg niedergelassen ist und dort auch keine Arbeiten als Angestellter ausführt, unterliegt sein Einkommen von Castera nicht der Steuer in Luxemburg.»
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Entsprechend dieser Logik vermerkt die Steuerberechnung von Kering nun auch im Dezember 2014, dass Bizzarri für die angestrebten 5,5 Millionen Euro Gehalt aus Luxemburg keine Lohnsteuern bezahlen müsse. Dafür ist in der Spalte etwas anderes vermerkt: die Schweizer Pauschalsteuer.
Schritt 2: Pauschalsteuer im Tessin
Tatsächlich war Bizzarri zu Zeiten dieser Lohnverhandlung gemäss Dokumenten pauschalbesteuert in der Gemeinde Vico Morcote am sonnigen Südhang hoch über dem Luganersee.
Bei einer Pauschalbesteuerung misst die Gemeinde die Besteuerungsgrundlage lediglich aufgrund des Lebensaufwandes, wie der Miete und anderen Ausgaben. Laut Kerings Steuerberechnung soll Bizzarri trotz einem Gehalt von 8 Millionen Euro in der Schweiz nur 146 000 Franken Pauschalsteuern bezahlen.
Möglich wird das, weil in der Schweiz Bizzarris Lohn gar keine Rolle spielt. Der Grund: Einem Pauschalbesteuerten ist es verboten, in der Schweiz zu arbeiten. Von den wenigen bekannten Pauschalbesteuerten sind deshalb die meisten reiche Erben oder frühere Unternehmer, die keinen normalen Angestelltenlohn erhalten.
Mit Bizzarri wird nun aber erstmals ein fest angestellter Spitzenmanager mit Millionengehalt als Pauschalbesteuerter bekannt. Da er nicht in der Schweiz angestellt ist und seinen Lohn komplett aus dem Ausland erhält, kann er sich tatsächlich bei uns pauschal besteuern lassen. Aber heisst das nun, dass er seinen Lohn von der Briefkastenfirma Castera über 5,5 Millionen auch in der Schweiz nicht versteuern muss?
Schritt 3: Doppelte Nichtbesteuerung
Die Eidgenössische Steuerverwaltung gibt hierzu auf Anfrage eine klare Antwort: «Eine Person, die in der Schweiz nach Aufwand (pauschal) besteuert wird und in Italien oder Luxemburg angestellt ist, zahlt in der Schweiz keine Steuern auf das Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Ausland.»
Das bestätigen auch zwei ausgewiesene Experten für internationale Steuerfragen. Sie wollen sich zwar nicht namentlich äussern, sagen aber nach Durchsicht des Falles klar, dass – wenn schon – Italien die 5,5 Millionen besteuern müsste, weil Bizzarri dort für Gucci gearbeitet habe.
Mit drei involvierten Jurisdiktionen, zwei Arbeitsverträgen und zwei Doppelbesteuerungsabkommen ist die Sache aber denkbar kompliziert. Es ist mitunter möglich, dass Kering hier eine Variante gefunden hat für eine sogenannte doppelte Nichtbesteuerung von Bizzaris Lohn. Falls er tatsächlich teilweise nicht besteuert wurde, hat Kering wohl Millionen eingespart.
Einer der reichsten Franzosen überhaupt
Wurde das nun alles so umgesetzt, und wenn ja, ist es legal? Die italienischen Behörden äussern sich nicht zu dem Fall. Kering sagt auf Anfrage: «Wir haben Regulierungen implementiert, die sicherstellen sollen, dass Steuervorschriften auf allen Ebenen komplett eingehalten werden, das gilt auch für die Angestellten von Kering.» Bezüglich des Lohns von Bizzarri sagt Kering, er würde allen Steuerpflichten in Italien nachkommen. Sie sagen auch, dass der CEO heute in Italien besteuert werde. Zur Zeit von 2014 und 2015, aus der die E-Mails stammen, äussert sich Kering jedoch nicht.
Klar ist: Involviert war auch der Konzernchef und Grossaktionär von Kering, François-Henri Pinault, einer der reichsten Franzosen überhaupt. Der Kering-Patron ist nebenbei auch Berater des französischen Ministerpräsidenten. Im E-Mail an Bizzarri war er im Verteiler. Verfasst wurde es im Auftrag von «François-Henri».
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