Die musikalischen Anmassungen von Muse
Die Gruppe Muse hat im Stade de Suisse eine neue Dimension des Stadionrocks zur Aufführung gebracht. Die Sinnlichkeit ist auf der Strecke geblieben – nicht aber der Spass.

Der Zweig des Stadionrocks ist eine ganz eigene Disziplin im Popzirkus. Hier geht es um weit mehr als um das hehre Musikschaffen. Es geht um eine Demonstration von Macht, der Wert einer Band wird in der Anzahl Tonnen an Lichtmaterial gemessen, die sie um die Welt schleppt. In diesem Wettkampf der Inszenierung besetzt die englische Gruppe Muse, die noch vor zehn Jahren als bescheidene, scheue Indie-Hoffnung im Freiburger Frison zu bewundern war, mittlerweile eine Spitzenposition.
Das Bühnen-Bauwerk, das sie zum Auftakt ihrer zünftigen Stadiontournee mit 49 Sattelschleppern (damit liegen sie nur noch 11 Sattelschlepper hinter den Rolling Stones) nach Bern hat schaffen lassen, ragt locker über das Dach des Stade de Suisse und gemahnt in seiner futuristisch-funktionalen Architektur an neuzeitliche Bahnhof-Bauten mittelgrosser Schweizer Städte – mit dem Unterschied, dass der Muse-Bahnhof in der Nacht zum imposant blinkenden Beleuchtungsmonument mutiert, das auch schon mal als Startrampe einer fliegenden Untertasse dient.
Der Konzertauftakt dreht sich ebenfalls um den Themenkreis Machtdemonstration: In einem Casting wurden 60 Hobby-Demonstranten erwählt, die nun vermummt über die Bühne randalieren dürfen, mit Transparenten, die Rebellion andeuten und doch so stumpf sind, dass am Ende nichts als die pure Geste bleibt. «You and I must fight for our rights», steht da etwa geschrieben – Floskeln gegen alles und nichts. Ob dahinter eine subversive Idee steckt oder bloss eine Parodie aufs Subversive, das ist bei dieser Gruppe längst nicht mehr so genau auszumachen. Ähnlich unklar war lange Zeit, ob es Muse mit ihrem letzten Tonträger «The Resistance» so richtig ernst gewesen ist, auf welchem die Band aus dem englischen Teignmouth die grossen Gesten der Rockmusik zur Karikatur überzeichnet hat, zu einer Art queenesker Bohemian-Rhapsody-Grössenwahnsinnigkeit.
Dem Gigantismus nach zu schliessen, dem Muse während des Auftritts im Stade de Suisse frönt, scheint eine ironische Brechung unwahrscheinlich. Und das Schöne ist, dass man es ihnen nicht einmal krummnehmen kann. Das Trio, das sich bloss mit einem im Hintergrund agierenden Hilfskeyboarder verstärkt, klingt wie eine monströse Rock-Big-Band, jeder Ton gleisst in atemberaubendem Bombast, jede Melodie wird zur Hymne aufgebläht, jeder Gitarrenakkord zum Manifest. Und als der ganze Protz – gipfelnd in der musikalischen Anmassung «United States of Eurasia» – an Wirkung einzubüssen droht, dimmt Muse die Inszenierung mit der Soul-Adaption «Feeling Good» oder dem poppigen «Undisclosed Desires» temporär herunter, Letzteres immerhin dargebracht auf einem kleinen hydraulischen Roll-Raumschiff – allzu bescheiden will man sich dann doch nicht geben. Doch das ist bloss der Anlauf zu weiteren Ungeheuerlichkeiten. In «Starlight» erreichen Muse eine wuchtige Schwulstigkeit, wie sie U2 nicht mal in ihren glanzvollsten Zeiten zu bewerkstelligen vermochten, und zum Finale hin setzt die Band noch einen nicht für möglich gehaltenen Zacken zu. Muse 2010 ist Musik gewordener Grössenwahn, wie er kaum zu übertreffen sein wird. Und auch wenn da jegliche Sinnlichkeit hoffnungslos auf der Strecke bleibt, Stadionrock hat selten mehr Spass gemacht.
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