Feministischer Blick auf Kafka«Die Käfer, das sind die anderen»
Petra Schönwald besetzt in «Die Verwandlung» von Franz Kafka die männliche Hauptfigur mit einer Frau. Ein Gespräch über Käfer, Care-Arbeit und Feminismus.

Frau Schönwald, in Kafkas «Verwandlung» geht es um einen jungen Mann, der sich in einen Käfer verwandelt. Daraus machen Sie eine Frau, die sich unter Käfern wiederfindet. Was bleibt da noch vom Original? Wird das Publikum das akzeptieren?
Grundsätzlich traue ich dem Publikum gerne auch Ungewohnteres zu. Zudem handelt es sich hier um einen Stoff, der sehr viele Möglichkeiten zu einer Interpretation zulässt. Das Spannende war für mich der Perspektivenwechsel. Die Zuschreibung zum Käfer kommt immer von einem Umfeld, das diesen als fremd wahrnimmt. Der Umgang mit dem anderen ist für mich das zentrale Thema. Textmässig halte ich mich stark an die Vorlage. Ich habe in meiner Stückfassung 80 bis 85 Prozent der ursprünglichen Erzählung übernommen.
Aber warum besetzen Sie Gregor Samsa mit einer Frau?
Mir geht es vor allem um die Beziehungen der Figuren untereinander. Die Verwandlung von Gregor zu einem Käfer löst etwas aus. Er fällt aus, als einziger Verantwortlicher für das Wohl der Familie. Er hat sich zuvor um alles gekümmert. Wenn ich mir das heute überlege – welcher Ausfall, welche Rolle hätte den grössten Impact auf sein Umfeld, dann komme ich eher zu einer weiblich gelesenen Rolle. Dieses Kümmern, die ganze un- und unterbezahlte Arbeit, das erledigen meistens Frauen.
Springen Sie mit dieser Genderthematik nicht auch einfach auf einen Trend auf?
Der Trend ist jünger als mein Interesse für das Thema. Ich beschäftige mich schon sehr lange mit feministischen Fragen, die für mich keine Trendfragen, sondern noch nicht gelöst sind.
Aber haben Sie das Gefühl, dass Kafka irgendeine feministische Absicht hegte?
Nein. Das würde ich nicht sagen. Es ist mein Zugang zu diesem Stoff. Ich versuche etwas zu greifen, wo ich Wiederklang finde. Viele Beschreibungen von Gregor, etwa auch die Tatsache, dass er sich schämt, seinen Körper versteckt, da klingt für mich viel wider, das ich von mir oder von Frauen in meiner Umgebung kenne. Es war für mich spannend, dem nachzugehen.
Man kann Gregors Zustand als Burn-out, als Depression oder als totale Verweigerung lesen.
Es kann tatsächlich viel sein. Bei einem Burn-out möchte man ja weitermachen, kann aber nicht mehr. Dann gibt es die Zuschreibung von aussen, dass man es absichtlich tut oder sogar Liebesentzug betreibt. Wenn Gregor der Käfer ist, ist er das Problem, weil er nicht mehr kann. Bei mir sind die Käfer die anderen, so wird der Fokus auf das Umfeld gelegt. Wie bei einem Burn-out: Nicht der Kranke ist das Problem, sondern die Umstände, die ihn krank machen.
Schon. Aber Gregor ist ja als Käfer auch ekelerregend, hilflos und auf dem Rücken liegend. Wie funktioniert das umgekehrt? Wie wird der Mensch unter Käfern zum abstossenden Ungeziefer?
Das funktioniert eigentlich ganz einfach. Es geht um Zuschreibungen. Indem ich meinem Gegenüber zu verstehen gebe, dass ich sein Anderssein nicht akzeptiere, kann ich ihn zum Käfer machen. Es muss jemand nicht eklig für mich aussehen, damit die anderen ihn zum «Ekligen» machen.
Die Schwester, die anfangs zu Gregor hält, spielt im Stück eine zentrale Rolle. Wie haben Sie diese besetzt?
Wir haben ein Dreierteam, bestehend aus zwei Männern und einer Frau. Die beiden Männer spielen abwechselnd Vater, Mutter, Schwester und Prokurist, während die Frau Gregor – der Name bleibt erhalten – spielt.
«Man fragt sich ja, warum bleibt dieser Käfer in diesem Raum? Er könnte ja einfach raus in die Natur gehen, wo er hingehört.»
Können Sie uns etwas über Bühne und Kostüme verraten? Gibt es Anleihen an Kafkas Zeit?
Nein. Es gibt bei uns einen abstrakten Raum. Er fungiert bei uns als vierter Mitspieler, fordert eine Auseinandersetzung ein. Es ist ein geschlossener Raum, und da wir uns in einer Käferwelt befinden, könnte es wie eine Zelle wirken, wo etwas ausgebrütet wird.
Stichwort Care-Arbeit. Sie haben selbst in ganz verschiedenen Berufen – etwa als Kellnerin oder Altenhelferin – gearbeitet. Haben diese Erfahrungen Sie als Regisseurin geprägt?
Ja, das würde ich schon sagen. Ich musste früh selbstständig werden und für mein Studium und die Betreuung meiner Tochter Geld verdienen. Ich liebe es, mit verschiedenen Menschen Kontakt zu haben. Ich wüsste gar nicht was erzählen, wenn ich in einer Bubble leben würde und die Welt um mich nicht kennen würde.
Können Sie sich selbst mit Gregor Samsa identifizieren?
Ja. In diesem Hin- und Hergerissen-Sein kann ich mich wiedererkennen. Man fragt sich ja, warum bleibt dieser Käfer in diesem Raum? Er könnte ja einfach raus in die Natur gehen, wo er hingehört. Aber er ist zu sehr gefangen. Natürlich steckt umgekehrt auch viel Freiheit und Protest in diesem Verharren: Ich bleibe jetzt einfach mal an der Decke hängen. Das gefällt mir.
Premiere: Samstag, 29. April, 20 Uhr, Theater an der Effingerstrasse, bis 26. Mai
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