Die Insel der Heiler
Das philippinische Eiland Siquijor ist klein, beherbergt aber 300 Naturtherapeuten – und die sind nicht die einzige Attraktion.

Der Druck im Kreuz, der die letzten zwei Tage permanent da war, ist von einem Moment zum anderen verschwunden – und die Sitzung bei der Heilerin beendet. «Wenn Sie daran glauben, dann klappt es auch», sagt Juanita Terremocha erfreut. Kurz hat sie den Rücken mit einer Kräuterpaste massiert – und das kleine Wunder hat sich eingestellt, weg ist der Schmerz. Nicht zu spüren dagegen sind die anderen Heilungen, die die 57-Jährige in den letzten 15 Minuten angewendet hat.
Noch immer sitze ich auf dem Plastikstuhl ohne Lehne, unter mir glüht Kohle in einem kleinen Stövchen. Im kleinen Raum steht ein Tempel mit Marienbildern, Heiligenstatuen, Kerzchen, Kreuzchen und Heilmixturen. Aber er dient offenbar nicht nur zur Therapie, sondern ist auch Wohnzimmer. In der Ecke steht ein alter Fernseher, an der Wand hängt das «Home-Stay»-Zertifikat – hier kann man auch Ferien machen.
Terremocha hat mich Richtung Sonne gesetzt. Die kleine, kräftige Frau drapiert ein dickes, weisses Tuch um mich herum, sodass nur noch der Kopf zu sehen ist. Sie wirft eine pulverisierte Kräutermixtur in die Glut, der Rauch, der nicht viel Geruch entwickelt, bleibt gefangen im Tuchumhang.
Ein paar Minuten vergehen. Terremocha befreit mich vom Tuch, hält zwei Finger an meine Stirn und spricht ein Gebet – lautlos, ihre Lippen bewegen sich. Sie nimmt meine rechte Hand, fühlt ein paar Momente den Puls und sagt: «Ihr Rücken, der schmerzt ab und zu. Jetzt gerade auch.» Sie reibt den Rücken mit ihrer Paste ein. Das wars. Zum Abschied erklärt sie, dass sie nicht nur meinen Rücken geheilt, sondern auch meine Aura gesäubert habe. Sie sei nun geschützt vor schlechten Einflüssen.
Bergkräuter, Korallenriffs und neue Resorts
Terremocha ist eine der 300 Heilerinnen und Heiler auf der philippinischen Insel Siquijor, die etwa so gross wie der Kanton Schaffhausen ist. Vor allem im Zentrum der Kalksteininsel, in den Bergen, sollen die Pflanzen und Kräuter besonders wirkungsvoll sein. «Sie sehen zwar gleich aus wie anderswo, verströmen aber einen anderen Geruch», sagt Terremocha.
Die Heiler öffnen sich wie viele andere Attraktionen dem Tourismus. In den letzten Jahren sind vor allem im Südwesten der Insel Dutzende von Resorts entstanden. Lange, weisse Sandstrände locken. Und noch viel mehr die Korallenriffs mit ihren unzähligen farbigen Fischen und knallblauen Seesternen nur wenige Meter vom Strand entfernt. Bootsausflüge führen zur Insel Apo mit ihren vielen Wasserschildkröten. Rund um die Touristenherbergen entstehen Beizchen, Restaurants und Souvenirshops – alle vermieten Motorroller für fünf, sechs Franken pro Tag.
Die Insel lässt sich sehr gut damit erkunden: Die Ringstrasse rund um die Insel ist 72 Kilometer lang, in gutem Zustand und weist nur wenig Verkehr auf. Wer sich auf den Weg macht, trifft dabei zum Beispiel auf die Kirche San Isidro Labrador in Lazi – ein wunderprächtiges Gotteshaus in einem desolaten Zustand. Die Einheimischen hoffen, dass das Gebäude demnächst in das Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen wird. Und damit Geld für die Renovation fliessen wird.
Wer mit dem Motorroller das Abenteuer sucht, schweift von der Ringstrasse ab und nimmt eines der schmalen und steilen Strässchen die Berge hinauf. Dort trifft er immer wieder auf Schilder, die zu Heilern führen.
Zum Beispiel zu Rogelio Lugatiman, einem Bolo-Bolo-Heiler. Seine Methode ist zugleich faszinierend und furchteinflössend. Der Patient setzt sich auf ein Stühlchen. Lugatiman füllt Wasser in ein Glas ein, in dem ein kleiner, schwarzer Stein liegt. Mit einem einen halben Meter langen Bambushalm bläst er Luft ins Wasser, kreist um den Patienten und hält das Glas an Kopf und Hals. Im Wasser sammeln sich mehr und mehr kleine, schwarze Blättchen. Lugatiman wechselt das Wasser fünfmal, jedes Mal wird es etwas klarer. «Sehr viel Dreck», sagt der Reiseleiter neben mir etwas verächtlich. Doch ganz so schlimm kann es auch wieder nicht sein: Es gibt diese Geschichte, dass bei einer Heilung eine daumengrosse Kakerlake aus dem dünnen Bambushalm kam.
Lugatiman heilt erst seit fünf Jahren, zuvor arbeitete er im Hafen der Insel. Ein Traum hat ihn auf den Weg zum Heiler gebracht. Juanita Terremocha dagegen hat das Heilen von ihrem Vater erlernt und praktiziert es in fünfter Generation. Ihr Vater wollte ursprünglich nichts von dieser übersinnlichen Praxis wissen, sondern ein ganz normales Leben führen. In einem Tagtraum erschien ihm die mystische Figur einer weissen Frau und riet ihm, das Heilen aufzunehmen. Sie überreichte ihm ein Zauberbuch mit Rezepten und Gebeten. Er stieg aber nicht darauf ein. Als seine Frau erkrankte und Blut spuckte, konnten ihr die Ärzte nicht helfen. So sammelte er in den Bergen der Insel Kräuter, stellte die Mixtur her und verabreichte diese seiner Frau. Und er heilte sie damit.
Pulver, Pasten und Infusionen
Pflanzen und Kräuter sammelt Terremocha nur an wenigen Tagen im Jahr: an den sieben Freitagen vor Ostern. Am Karfreitag schneidet und häckselt sie das Gesammelte, am Karsamstag verarbeitet sie dieses zu Pulver, Pasten und Infusionen, die für ein ganzes Jahr reichen müssen. An diesen Tagen gesellen sich nicht nur Einheimische, sondern auch immer mehr Touristen dazu. Vianney Tumala von Travel Authentic Philippins, einem Projekt für nachhaltigen Tourismus auf den über 7000 Inseln des Landes, hat diesen Zeremonien schon beigewohnt. «Am Karfreitag durfte ich nicht bei allen Verarbeitungsprozessen dabei sein, ich hätte es auch nicht gewollt», sagt sie. Auf die Frage, warum, antwortet sie nur kurz: «Schwarze Magie.» Damit will die Philippina aus dem nahen Cebu nichts zu tun haben.
Auf Siquijor gibt es Geschichten zu Hexerei und Voodoo, darüber sprechen wollen die Einheimischen kaum. Auch nicht über die Vampire, die tagsüber als Menschen leben. Nachts sollen sich ihre Körper teilen: Die Beine schlafen daheim, der Oberkörper geht auf Jagd. Sie trinken nicht nur das Blut ihrer Opfer, sondern essen auch deren Innereien. Ob ihre Existenz auch nur eine Frage des Glaubens ist?
Die Reise wurde unterstützt von Erlebe Fernreisen.
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