Wahlen in TschechienDie erste Frau mit Chancen auf das Präsidentenamt
Danuse Nerudova erreicht hohe Umfragewerte. Ihre Konkurrenten sind ein populistischer Ex-Premier und ein früherer General.

Kurz vor der Präsidentenwahl in Tschechien hat Andrej Babis es geschafft: Letzten Montag wurde er in Prag von den Vorwürfen freigesprochen, EU-Subventionen erschlichen zu haben. Der ehemalige Premier erklärte, es gebe also doch noch eine unabhängige Justiz in Tschechien. Immer wieder hatte er gesagt, der Prozess sei rein politisch motiviert. Babis hat nun gute Aussichten, es beim ersten Wahlgang an diesem Freitag und Samstag in die Stichwahl zum nächsten tschechischen Präsidenten zu schaffen.
Die Betrugsvorwürfe im Fall des Tagungszentrums Storchennest wurden seit Jahren öffentlich diskutiert. Im Prozess waren erneut Babis’ Familienverhältnisse aufgerollt worden, wieder ging es um seinen Sohn, der die Vorwürfe gegen den Vater bestätigt. Erneut erklärte Babis seinen Sohn wegen Schizophrenie für unglaubwürdig.
Es geht auch um Ansehen und Ausrichtung Tschechiens
Babis hat zwei fast gleich starke Konkurrenten, dennoch geht es bei dieser Wahl fast nur um ihn. Denn die anderen Kandidaten wollen vor allem zeigen, dass sie eben nicht wie Babis sind und auch nicht wie der amtierende Präsident Milos Zeman. Zeman hatte stets Wert auf enge Beziehungen zu Russland und China gelegt, griff in wenig staatsmännischem Vokabular Journalisten und Politiker an, arbeitete in seinen Wahlkampagnen mit offensichtlichen Lügen. Mit Babis kam er gut zurecht. Nach zwei Amtszeiten darf der 78-Jährige nicht mehr antreten.
Für viele Menschen in Tschechien bedeutet diese dritte direkte Präsidentschaftswahl auch eine Entscheidung über Ansehen und politische Ausrichtung der Republik. 2021 hatte Babis bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus die Regierungsmehrheit verloren – was vor allem dem schlechten Abschneiden seines Koalitionspartners geschuldet war. Zudem hatte sich die damalige Opposition verbündet und regiert nun in einer Fünferkoalition. Babis’ Partei kam auf fast 30 Prozent – diese Wähler könnte er nun wieder gewinnen.

«Nach unseren Modellen von Anfang Januar hat Andrej Babis die besten Chancen, es in die Stichwahl zu schaffen», sagt Helena Truchla vom Prager Meinungsforschungsinstitut Stem. Dann aber sehe es schlecht für ihn aus. Denn es sei nicht nur entscheidend, wie viel Zustimmung ein Kandidat erreichen könne, sondern auch, wie viele Leute ihn grundsätzlich ablehnten. Das waren im Fall Babis 52 Prozent der Befragten. «Mehr als bei Zeman», sagt Truchla. Auf dessen Wähler könne Babis ohnehin nicht unbedingt zählen. Die könnten sich auch für einen anderen Kandidaten entscheiden oder daheim bleiben.
«Es muss normal sein, dass der Präsident nicht lügt und nicht stiehlt.» Das sagt Danuse Nerudova Ende November in einem kleinen, aber voll besetzten Hörsaal des technischen Forschungszentrums UJV in Rez bei Prag. Nerudova (44) hat als erste Frau reelle Chancen, die Präsidentschaft zu gewinnen.
Mut machen, Hoffnung geben, Ziele erreichen: Das sind so die Schlagworte, die Danuse Nerudova benutzt.
Somit steht die Wirtschaftswissenschaftlerin schon allein aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts für einen Wandel – genauso präsentiert sie sich auch. Und innerhalb kürzester Zeit hat es die vormalige, eher unbekannte Rektorin der Mendel-Universität Brünn zu traumhaften Umfragewerten gebracht. Mut machen, Hoffnung geben, Ziele erreichen: Das sind so die Schlagworte, die Nerudova benutzt.
In einem cremefarbenen Kleid mit passenden Pumps steht sie vor ihrem Publikum, chic, aber nicht übertrieben, das blonde Haar glänzt unter der grellen Hörsaalbeleuchtung. «Ein Präsident muss den Leuten das Gefühl geben, dass sich jemand um sie kümmert», sagt sie vor den etwa 80 Leuten in Rez. Nahbar will sie sein, bescheiden und fleissig auch. Ein Präsident wie der Österreicher Alexander Van der Bellen, der wie normale Leute Strassenbahn fahre, sei für sie ein Vorbild.
Kandidatin ohne Lasten der Vergangenheit
Ihr Publikum ist im Alter gemischt, doch auch in Rez wird deutlich: Nerudova zieht junge Menschen an. Sie hat ihre ganze Familie, auch ihre zwei halbwüchsigen Söhne, in die Kampagne einbezogen, beherrscht alle Kanäle, auch Tiktok, das wirkt. Zudem spricht sie über bessere Bildungschancen, weniger Druck, weniger Auswendiglernen, mehr Entfaltung. Nerudova möchte auch als besseres Vorbild wirken. Was sie von den anderen Kandidaten unterscheidet, wird sie in Rez gefragt. «Ich trage keine Lasten der Vergangenheit mit mir herum.»

Eine Anspielung nicht nur auf Andrej Babis, der in der Slowakei offiziell als ehemaliger Geheimdienstler gilt und im Ausverkauf der Wendezeit den Grundstein für sein Milliardenvermögen gelegt hat. Sondern auch auf Petr Pavel, 61, General a. D., bis 2018 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Und vor 1989 Fallschirmjäger bei der Armee der CSSR.
Zwei Tage nach Nerudovas Auftritt bei Prag sitzt Pavel auf einem Podium der Grossstadt Ostrava, ganz im Osten Tschechiens. Der Theatersaal des Kulturhauses hat etwa 400 Plätze und ist gut gefüllt. Pavel, weisses Haar, kurz geschnittener Vollbart, Sakko, Jeans, keine Krawatte, antwortet auf jede Frage mit derselben ruhigen, tiefen Stimme. Für ihn sei es wichtig, sich zu fragen, «wie man sich in einer grossen Welt anständig verhält und dabei nicht verliert». Von einem Zuhörer auf seine Militärkarriere angesprochen, sagt er: «Ich bin froh, dass ich dieses Land vor 1989 kannte, denn ich weiss, was ich nicht mehr will.»
Am nächsten Morgen nimmt er sich Zeit für ein kurzes persönliches Gespräch. Wie war das nun im November 1989 in der Kaserne? Was die Menschen auf den Strassen erstritten, sagt Pavel, «das war auch für mich eine Erleichterung». Schon sein Vater sei beim Militär gewesen, der Weg erschien vorgezeichnet, doch schon länger seien ihm Zweifel am System gekommen.
Wahlkampf verlief zivilisierter als frühere
Nach der Wende studierte Pavel in London, machte Karriere in der Armee des demokratischen Tschechiens, erklärte seinen Landsleuten als General den Einsatz in Afghanistan – und nun als Präsidentschaftskandidat den Krieg in der Ukraine. Er mag deutlich älter sein als Nerudova, doch wie sie steht er für eine moderne Gesellschaft, spricht sich für die gleichgeschlechtliche Ehe aus, beide stehen klar zu Nato und EU, kritisieren Zemans frühere Russland-Nähe. Und beide haben die ausdrückliche Unterstützung der Regierung.
Gegenseitig griffen sie sich kaum an, dabei geriet auch Nerudova in die Kritik, als bekannt wurde, dass Doktortitel an der Mendel-Universität vor allem an ausländische Studenten wohl ziemlich rasch vergeben wurden. Doch dieser Wahlkampf verlief deutlich zivilisierter als frühere. Wohl auch, weil Andrej Babis sich von fast allen gemeinsamen Debatten fernhielt, nur seine Anhänger besuchte und darauf setzte, dass seine Ansichten ohnehin jeder kenne. Falls also noch Gemeinheiten ausgepackt werden, dann wohl erst nach dem ersten Wahlgang.
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