Mamablog: Elterliche PlanungswutDer sagenumwobene 29. Februar 2023
Oder wie mir meine Tochter eine Lektion in der Kunst der Lebensfreude erteilte.

Es war an einem Mittwochnachmittag, draussen herrschte trübes Wetter und meine Tochter und ich lümmelten auf dem Sofa rum. Ich, mit Laptop bewaffnet, um Agenden und To-do-Liste abzugleichen. Sie, einen riesigen Stapel Fotoalben vor sich, von denen sie sich eins nach dem andern einverleibte.
«Es gibt so viele neue Fotos, die ich einkleben sollte», dachte ich seufzend und schrieb «Fotos einkleben» unter die Posten «Dauerauftrag ändern», «Ferien organisieren», «Fenster putzen». Plötzlich schoss mir eine unfassbare Müdigkeit in die Glieder. Ein Gefühl, das so gar nicht dem Lebensgefühl entsprach, das mir aus jenem Album entgegensprang, das die Tochter gerade betrachtete und das meinen Sprachaufenthalt in Südfrankreich im Jahr 1994 dokumentierte.
Denn nicht nur unzählige Lavendelfelder und enge Gassen blickten mir aus dem Album entgegen, sondern auch mein damals gerade mal 21-jähriges Ich, das so quietschfidel und leicht durch diese Monate im Süden getanzt war. «Welch Lebendigkeit!», dachte ich etwas neidisch mit Blick auf meine junge Version, als mich die Tochter mit einem 3000-Watt-Strahlen und dem Satz «Ich freue mich sooo auf den 29. Februar 2023!» aus meiner Sentimentalität riss.
Error der Erwachsenenlogik
In meinem Kopf begann es zu rattern, und innert Sekundenschnelle durchblätterte er sämtliche verinnerlichten Agenden, um rauszufinden, was es denn am 29.2.23 so Besonderes gibt. Doch mein inneres Outlook zeigte keine Programmierung an.
«Was ist am 29. Februar 2023?», fragte ich also, während mein Computer sich noch mehr bemühte, das Ergebnis für diesen sagenumwobenen Tag auszuspucken. Und als ich bereits die Möglichkeit erwägte, der 29.2.23 könnte der Todestag der Schnecke auf dem Salatblatt hinten links im Gartenbeet sein, sagte die Tochter lapidar: «Das weiss ich doch nicht!»
Mein Outlook fror ein. Meine Erwachsenenlogik war in den Lockdown verbannt. Da war nichts, was mir bewies, dass der 29.2.23 auch wirklich ein Tag ist, auf den es sich anständig zu freuen lohnt.
«Moment. Du freust dich also auf etwas, wovon du gar nicht weisst, worauf du dich freust?»
«Ja klar. Deshalb freue ich mich ja so! Genau darum, weil ich nicht weiss, was dann sein wird! An diesem Tag ist ALLES möglich. Ist das nicht unglaublich?» Und sie begann vor Freude so begeistert auf dem Sofa zu hüpfen, als wäre ihr gerade Osterhase und Samichlaus im Doppelpack erschienen.
«Stimmt!», murmelte ich und schaute ermattet auf meine säuberlich geführte Agenda und To-do-Liste. Auf all jene Werkzeuge, die mich doch so gut organisiert durchs Leben führen. Und parallel dazu auf die Tatsache, dass die unbändige Freude der Tochter offensichtlich genau dem Gegenteil von Wissen und Planung entspringt.
«Und, sag, Mama – ist 2023 ein Schalterjahr?
«Ein Schaltjahr meinst du. Nun ich muss da erst mal im Kalender ..!»
«Nein! Bitte nicht nachschauen, ich will das gar nicht wissen!»
«Aber du hast doch gerade danach gefragt?»
«Ja, ja. Aber ich will es nun doch nicht wissen. Denn wenn ich es nicht weiss, ist es doppelt so spannend. Dann weiss ich nicht nur nicht, was an diesem Tag passiert, sondern nicht mal, obs diesen Tag überhaupt gibt!» Mittlerweile quietschte sie fast vor Aufregung, und ihre Lebensfreude dehnte sich unwiderstehlich auf meine müden Glieder aus.
Neugier statt Pläne
Behutsam strich ich über die kleine Tasche im Album, die mit Sand von meinem damaligen Lieblingsstrand gefüllt ist und die ich einst liebevoll neben ein Strandfoto klebte. Und ich erinnerte mich wieder ganz genau, wie diese unbändige Lebendigkeit in jener Zeit zu mir kam: dadurch, dass ich jeden Tag als Abenteuer feierte. Weil ich mich vom Leben führen liess, statt es im Griff haben zu wollen. Durch die Kunst, auch kleinsten Dingen eine Bedeutung beizumessen. Und statt unzähliger Pläne ganz viel Neugier an meiner Seite zu haben.
«Weisst du was?», sagte ich und klappte den Laptop zu. «Ich lass das mit den Listen jetzt sein, und wir beide gehen zusammen in die Stadt!»
«Und was machen wir dort?»
«Keine Ahnung. Schauen wir, was passiert. Aber etwas ist verboten!»
«Süssigkeiten?»
«Nein, nicht Süssigkeiten. Verboten ist einzig, jetzt schon einen Plan zu haben, was wir dort anstellen werden!»
Wie handhaben Sie es mit der Balance von Planung und Abenteuerlust, liebe Leserinnen und Leser? Diskutieren Sie mit.
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