Eigentlich hätte der Justizausschuss des Senats diese Woche über die Berufung von Brett Kavanaugh ins höchste Richteramt abstimmen sollen. Doch am Sonntag beschuldigte die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford den Mann in der «Washington Post», als Siebzehnjähriger habe er sie während einer Party zu vergewaltigen versucht. Seither herrscht Chaos in Washington. Kavanaugh dementierte umgehend und entschieden: Weder in der Highschool noch sonst in seinem Leben habe er je etwas Derartiges getan.
In diesem jüngsten Skandal kollidieren jene zwei Themen, welche die Befindlichkeit der US-Gesellschaft in den letzten Monaten beherrschten: das Trump-Chaos auf der einen und #MeToo auf der anderen Seite. Und es stellen sich eine ganze Reihe von Fragen: Wie geht man mit Vorwürfen sexueller Gewalt um, die Jahrzehnte zurückliegen und die nie juristisch abgeklärt wurden? Welche Konsequenzen sollen solche Vorwürfe für den Angeschuldigten haben? Wie sind die Anschuldigungen zu beurteilen, wenn ihr Timing ein politisches Motiv vermuten lassen?
Gerade am letzten Punkt zeigt sich die Komplexität des Falls. Denn Ford wollte mit ihren Vorwürfen eigentlich gar nicht an die Öffentlichkeit. Als Anfang Juli Kavanaughs Nomination bekannt wurde, wandte sie sich mit ihrer Geschichte zwar anonym an die «Washington Post», zog sie dann aber Ende August zurück aus Angst vor den Konsequenzen für sie und ihre Familie. Zu diesem Zeitpunkt war die Story aber schon zu einzelnen Journalisten durchgesickert, die bei ihr und ihren Kollegen nachzufragen begannen. Schliesslich entschied sie sich für die Flucht nach vorne und erzählte die Geschichte der «Washington Post».
Nur weil man sich an nichts erinnert, heisst es nicht, dass es nicht passiert ist.
Die Konsequenzen waren erwartbar: Man zog ihre fachliche Eignung als Professorin in Zweifel, es hiess, sie habe alles erfunden, aus politischen Motiven. Die Ereignisse bestätigen das traurige Muster, dass mutmassliche Opfer, wenn sie sich wehren, meist gleich noch einmal zum Opfer werden.
Kavanaugh kann hingegen sagen, er erinnere sich an nichts – und muss dabei nicht einmal um seine Glaubwürdigkeit fürchten. Welcher 53-Jährige weiss noch alles, was er als Siebzehnjähriger getrieben hat? Vor allem, wenn auch noch Alkohol im Spiel war? Vielleicht wäre er deshalb gut beraten, defensiver aufzutreten. Nur weil man sich an nichts erinnert, heisst es nicht, dass es nicht passiert ist. Immerhin hat sein Studienkollege und damaliger Zeuge des Vorfalls, Mark Judge, ein Buch geschrieben über seine Partynächte als Student, mit Erbrechen und Blackout-Folgen. Kavanaugh wird darin zwar nicht namentlich erwähnt, aber eine Figur namens «Bart O'Kavanaugh» hat es als sein Trinkkumpan ins Buch geschafft.
Das allein macht ihn nicht zum Täter. Aber auch wenn sich Kavanaugh nicht an den Vorfall mit Ford erinnern kann, seine feuchtfröhlichen Partynächte hat er kaum vergessen. Er sollte dem Opfer deshalb lieber zuhören, als einen allfälligen Fehltritt von vornherein kategorisch auszuschliessen. Das müsste man von einem höchsten Richter erwarten können.
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Der Richter und seine Partynächte
Brett Kavanaugh soll als Siebzehnjähriger eine Frau sexuell attackiert haben. Am Umgang mit den Vorwürfen wird sich sein Charakter beweisen.