Der Kampf der Kulturen im Eishockey
Eishockeytrainer, der mit Biel (1983), den ZSC Lions (2000) und dem SC Bern (2004) Schweizer Meister wurde
Ich liebe es, den Spengler-Cup zu schauen. Eigentlich liebe ich alle internationalen Sportveranstaltungen. Auch Fussball, Basketball, Tischtennis oder Golf. Was mich fasziniert, sind die unterschiedlichen Ansätze der verschiedenen Länder. Man müsste denken, im Zeitalter der Globalisierung und Vernetzung werde der Sport immer homogener. Doch die Art und Weise, wie wir Sport betreiben und (er)leben, da liegen immer noch Welten dazwischen. Und ich glaube, dafür können wir dankbar sein.Eine alte Redensart besagt: «Man kann jemanden aus seiner Kultur herausnehmen, aber man kann die Kultur in ihm nicht entfernen.» Eishockeyspieler machen da keine Ausnahme. Der Kanadier Yves Sarault fand den Weg zur Strafbank im Dress des ERC Ingolstadt genauso einfach wie mit dem HC Davos oder dem SC Bern. Und die Spieler von Dynamo Moskau, bei denen es aussah, als sei der Puck mit einem Faden an ihrem Stock befestigt, versuchten immer wieder unmöglich scheinende, gefährliche Pässe – Zuspiele, die jeden NHL-Coach in die Nähe eines Herzinfarkts gebracht hätten. Auch die Tschechen spielten wunderschönes, aber kompliziertes Eishockey. Und die Kanadier versuchten, die Russen mit ihrem Körperspiel einzuschüchtern.Doch halt, war es nicht Kanadas Jeff Toms, der durch die Luft flog und auf seinem Rücken landete? Wo haben die Russen gelernt, solche Checks auszuteilen? Apropos Toms. Es ist schwer zu verstehen, weshalb ein Spieler von seinem Kaliber (ich glaube, er dürfte der beste NLA-Ausländer sein) in Russland nur gut genug war für 14 Spiele. Er erzählte mir, seine Teamkollegen hätten ihm den Puck nie zugespielt, sie hätten versucht, ihn absichtlich zu zerstören. Es muss schwierig sein, Eishockey zu spielen, wenn einem die Kollegen nicht spielen lassen. Das umgekehrte Beispiel ist Eric Landry, der für Dynamo ausgezeichnet spielte. Jener Eric Landry, den ich vor drei Jahren beim EHC Basel feuern musste, weil er dem Team mit zu vielen unnötigen Strafen schadete, und der danach beim SC Bern nicht reüssierte. Jetzt verdient Landry in Moskau 750000 Dollar. Und er ist sein Geld wert. Wie konnte das passieren? Landry ist, ohne Zweifel, ein guter Hockeyspieler. Er ist schnell und kräftig, vielleicht der härteste Spieler, den ich je gecoacht habe. In der Schweiz musste er der Star sein, er musste nicht nur der sein, der viele Checks austeilte, sondern auch der, der viele Tore schoss. Dieser Druck war für ihn zu viel, und immer wieder verlor er seinen Fokus. In Moskau hingegen gewährt er seinen russischen Sturmpartnern den Vortritt, er gibt ihnen den Puck und schafft Raum für sie. Er begibt sich in den Infight vor dem Tor – etwas, was die meisten Russen nicht gerne tun. Er muss kein Star mehr sein und spielt deshalb nun genau wie einer. Jeff Toms hingegen blüht auf, wenn er im Mittelpunkt steht. Was er in Russland nicht tun durfte, tut er nun besser als jeder andere im Emmental.Natürlich besitzen zahlreiche Russen und auch Tschechen, die wir am Spengler-Cup sahen, ausreichend Fähigkeiten, um in der NHL zu spielen. Einige sind zu «soft», zu schwach für den Darwinismus in der weltbesten Liga. Andere wollen gar nicht dorthin. Und natürlich gibt es viele NHL-Trainer, die den russischen Stil, Eishockey zu spielen, nicht mögen. Es bestehen beidseits immer noch viele Vorurteile – so wie das auch der Fall ist, wenn ein Gastarbeiter in ein fremdes Land kommt. Wenn jemand in eine neue Kultur eintaucht, sei es im Sport oder auch im «normalen» Leben, kann man von ihm nicht verlangen, dass er sich total verändert. Nur, dass er sich an die neuen Gegebenheiten anpasst.Die Vielfalt von Kulturen kann helfen, ein Team (oder auch eine Gesellschaft) zu stärken – wenn man die Unterschiede akzeptiert und ein gemeinsames Ziel hat. Die besten Coaches kreieren ein Umfeld, in dem das möglich ist. Das Wichtigste ist es, offen dafür zu sein, voneinander zu lernen. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit Mirek Hybler, meinem ehemaligen Assistenten beim SC Bern. Hybler ist ein exzellenter Ausbildner, er nahm die jungen Spieler jeweils schon um sieben Uhr morgens auf dem Eis zusammen. Einmal fragte ich ihn, weshalb er jedes Mal 20 Minuten dafür verwendete, den Spielern den gleichen Trick zu lernen. «Weil jeder Spieler diesen Trick beherrschen muss», antwortete er mir. «Aber ich habe Wayne Gretzky diesen Trick nie machen sehen», gab ich zurück.Zuerst herrschte eine beklemmende Stille, wir schauten uns an, dann brachen wir beide in Gelächter aus. Hier waren wir also, zwei Coaches aus komplett verschiedenen Hockeykulturen, die versuchten, ihre Unterschiede zu überbrücken. Es war nicht immer einfach, aber dieser Prozess hat uns beide immer wieder etwas gelehrt. Und wenn es Eric Landry schafft, schaffen es auch andere.>
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