Der Fall Amann und die «dummen Deutschen»
Wie ein deutscher Immobilienhändler mit einem Hotel in Zermatt Hunderte Investoren hinters Licht führte – und weshalb die Geprellten dafür ein Berner Unternehmen ins Visier nahmen.

Das Hotel Schweizerhof Zermatt, ein solider Gasthof ohne Prunk, hat den Besitzer gewechselt: Der Investor Michel Reybier hat es für knapp 26 Millionen Franken erworben. Reybier ist Grossaktionär der Aevis-Victoria-Gruppe, zu der die Nobelherberge Victoria Jungfrau in Interlaken gehört. Mit dem Besitzerwechsel geht eine Geschichte zu Ende, die 2001 begann und seit 2008 die Schweizer Justiz auf Trab hält.
Der Fall dahinter: Ein deutscher Immobilieninvestor hat mit einem Investitionskonstrukt seine Landsleute übers Ohr gehauen. Diese aber geben der Schweizer Rechtsprechung und der Berner Sachwalterin Transliq AG die Schuld. Der Fall Schweizerhof Zermatt – ein besonders hässliches Lehrstück einer Investition eines dubiosen Investors, der in der eigenen Heimat scheiterte und sein Glück in den Nachbarländern versuchte.
Der Angeklagte G. erhebt sich und lächelt verlegen, als der Kläger Kurt Stöckli im Mai 2016 den Saal im Regionalgericht Bern-Mittelland betritt. Stöckli ist Gründer und Mitinhaber der auf Nachlass- und Konkursverfahren spezialisierten Berner Treuhandfirma Transliq AG. Er hat den deutschen Pensionär G. wegen Verleumdung, übler Nachrede und Beschimpfung verklagt. Der Angeklagte und seine Frau, die hinter ihm Platz genommen hat, wirken unsicher und abgekämpft. Von der Wut, die G. zu seinen Anschuldigungen gegenüber dem Sachwalter Stöckli angetrieben hat, ist nichts mehr zu spüren. G. hatte damals nicht akzeptieren können, dass der ominöse Fonds «Schweizerhof», in welchen er vor 15 Jahren investiert hatte, liquidiert werden sollte.
So behauptete G. unter anderem, Sachwalter Stöckli mache mit «Kriminellen gemeinsame Sache», handle «heimtückisch» und nur in eigenem Interesse. Alle im Gerichtssaal sind sich bewusst: Der Angeklagte hat keine Chance, einer Strafe zu entgehen. Nach zwei Stunden willigen beide Parteien in einen Deal ein: Der Angeklagte nimmt alle seine rufschädigenden Äusserungen zurück, entschuldigt sich und übernimmt die Anwaltskosten des Klägers. Das deutsche Ehepaar verabschiedet sich leise und mit einem betretenen Lächeln.
Die Wut entlud sich am Sachwalter
Mit G. haben rund 350 weitere, meist deutsche Anleger mit dem Schweizerhof-Fonds ihre Ersparnisse verloren. Deren Wut entlud sich, wie es oft vorkommt in solchen Situationen, am richterlich eingesetzten Sachwalter. Doch in diesem Fall hat die Sache eine aussergewöhnlich hässliche Eskalationsstufe erreicht. Als junger Mann machte Jürgen Amann in den 1970er-Jahren als «Vater des Kölner Modells» von sich reden: «Während Baufirmen am Rande des Ruins marschieren, macht ein 34-jähriger Doktor der Volks- und Betriebswirtschaftslehre einen Bombenumsatz mit Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern», schrieb die «Zeit». Amann hatte mit seinem Konstrukt eine «Marktlücke» entdeckt. Mit seinem «Mietkaufsystem» benötigten Makler und Bauherrn keinen Pfennig Eigenkapital. Amann besorgte die Fremdfinanzierung, die Schuldner konnten die Schuldzinsen von den Steuern absetzen. Der Steuertrick machte Amann zum Millionär.
Nachdem ihm die deutschen Finanzämter aber schon bald einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten, wandte er sich Frankreich zu. Seine Geschäfte an der Côte d'Azur endeten mit einem mehrjährigen Berufsverbot. Als Nächstes nahm er sich den Markt in der Schweiz vor. Seine Masche war simpel: «Dr. Jürgen Amann», wie er sich in allen Schriften titulieren lässt, schuf über die Dr. Amann AG mit Sitz in Zug mehrere Kommanditgesellschaften, die in Prestigeobjekte investierten; die Anleger waren Kommanditäre. Diesen rechnete Amann vor: jährliche Auszahlung von 6,25 Prozent des eingesetzten Kapitals aus dem «Liquidationsüberschuss», nach 16 Jahren Verkauf des Objekts mit Gewinn. Die Dr.-Amann-Gruppe werde natürlich Beratungsgebühren und Verkaufsprovisionen erheben müssen.
So investierte Jürgen Amann zum Beispiel in den White-Plaza-Komplex in Basel – mit falschen Angaben im Werbeprospekt und falschen Versprechungen an die Anleger. Die angebliche Vollvermietung war eine glatte Lüge: Hauptmieterin war eine Gesellschaft, die zum Amann-Geflecht gehörte und als Zwischenmieterin fungierte, um neue Mieter zu finden. Bald schon kam diese den Zahlungen nicht mehr nach, und der Fonds geriet in Schieflage.
2001 investierte Jürgen Amann via seine Kommanditgesellschaften VIII und IX in das Hotel Schweizerhof in Zermatt und dessen angrenzende Residenzen. Der Schweizerhof, 1982 im Stile eines überdimensionierten Chalets erbaut, liegt an der Bahnhofstrasse mitten im Dorf, mit Wellnessbereich, über hundert Zimmern und mehreren Restaurants. Das Hotel war gepachtet von der führenden Hotelbetriebsgesellschaft Seiler Hotels Zermatt mit über 150-jähriger Familientradition. Schweizer Hotels sind bei ausländischen Investoren beliebt, sie gelten als sichere Anlagen mit zwar nicht hoher, aber konstanter Rendite. Ausserdem unterstehen Immobilienkäufe nicht dem Geldwäschereigesetz. Wenn sie wenig rentieren, werden sie in Wohneigentum überführt, was Gewinn verspricht.
Die Bankenkommission griff ein
Der Preis des Schweizerhofs Zermatt belief sich auf 28 Millionen Franken. Um Anleger zu gewinnen, rührte Amann die Werbetrommel mit Verweis auf Schweizer Solidität, auf die heile Bergwelt und das florierende Dorf Zermatt. Eine todsichere Kapitalanlage, dachten sich seine Landsleute. Und diese traumhafte Rendite von 6,25 Prozent, steuerfrei! Ausserdem durfte man mit vergünstigten Übernachtungen rechnen, wann immer man wollte. Und schliesslich gaukelte ihnen Amann einen Anspruch auf AHV vor.
Zwei Jahre lang waren die Kommanditäre zufrieden: Der Fonds zahlte die Rendite. Ab 2005 floss nichts mehr, und Amann sah sich mit einer Flut von Strafanzeigen konfrontiert. Die kritischen Medienberichte häuften sich, und schon bald beschimpften ihn die Anleger als «Geldverbrenner» und «Betrüger». Tatsächlich hatte Amann unbekümmert vom Fonds abgezweigt, um andere Löcher in seinem Konstrukt zu stopfen, sodass dieser bald einmal ausgebrannt war – während das Zermatter Hotel selbst gut ausgelastet blieb.
Ab 2008 beschäftigte das Konstrukt von Amanns Kommanditgesellschaften die Bankenkommission, die Gerichte, die Finanzmarktaufsicht und ein Heer von Anwälten und Finanzspezialisten. Im Mai 2008 eröffnete die Eidgenössische Bankenkommission (die heutige Finma) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Dr. Amann AG und forderte die Liquidation zweier Kommanditgesellschaften: Die Gruppe verwalte kollektive Kapitalanlagen, obwohl sie keine Bewilligung hierzu habe, und sei überschuldet. Der Schweizerhof Zermatt gehörte zwar nicht zur konkursiten Dr. Amann AG, war aber von der Liquidation der andern Gesellschaften bedroht. Die 350 Anleger der «Dr. Amann & Co VIII Sachwert-Beteiligung Kommanditgesellschaft» brachten sich in Stellung – im Visier das Schweizer Justizsystem, das die Verschwörung gegen die deutschen Anleger deckte. Als Erstes legten sie beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein: Die Bankenkommission sei Handlangerin der Seiler-Gruppe, denn diese wolle das Hotel günstig kaufen.
Im Mai 2012 setzte die zuständige Richterin Transliq als Sachwalter ein. Die Liste ihrer Mandate umfasste die Fälle Swisscargo, Krüger Immobilien, Hugo Erb AG, Mystery Park AG, Miracle Gesellschaften, Petroplus Holdings AG und andere Firmen, die überschuldet waren. Derweil sich die Anleger der Gesellschaft Schweizerhof und Jürgen Amann gegenseitig mit Klagen eindeckten, machte sich Transliq ans Werk. An einer Informationsveranstaltung am Flughafen Zürich im Dezember 2012 eskalierte die Situation: Sachwalter Kurt Stöckli erklärte den Anwesenden, warum die Kommanditgesellschaft mit in den Abwärtsstrudel des ganzen Amann-Konstrukts gerissen werde. Die Gesellschaft sei überschuldet, es fehle die Liquidität und Betreibungen seien bereits eingeleitet. Deshalb beabsichtige Transliq, eine Nachlassstundung zu beantragen, die Grundbuchsperre aufzuheben und den Schweizerhof weiterzuführen mit dem Ziel, Investoren zu finden und sich am strafrechtlichen Verfahren gegen Jürgen Amann zu beteiligen.
Mit Klagen eingedeckt
Die Anleger waren aufgebracht: Das Hotel habe gut rentiert und sei keineswegs konkursit. Und überhaupt: Sie seien die Eigentümer und könnten bestimmen, was mit dem Fonds Schweizerhof geschehe. Kurt Stöckli, solche Szenen gewohnt, versuchte zu erklären: Die Fonds-Gesellschafter hätten darum keine Mitsprache mehr, weil sie in diesem Amann-Konstrukt zwar Geldgeber und damit wirtschaftlich Berechtigte seien, aber nicht Eigentümer der Liegenschaft, denn die Anteile am Hotel hielten die beiden Treuhänder Acura GmbH in Düsseldorf und GLS Beratung AG in Zug, mit denen Amann Verträge abgeschlossen hatte. Und sollte der Schweizerhof geschlossen werden, würde sich das erheblich auf einen allfälligen Verwertungserlös auswirken und somit auch die Anleger schädigen. Im Übrigen stehe mit Jürgen Amann ihr Landsmann hinter der Gesellschaft, der wegen Betrugs angeklagt sei. Ein Anleger glaubte, so erklärte er später, in diesem Zusammenhang von Stöckli den Ausdruck «dumme Deutsche» gehört zu haben. Stöckli bestreitet, dies gesagt zu haben.
Nun geriet die Transliq AG ins Visier der Investoren: Als ihnen nicht gelang, den Sachwalter abzuberufen, klagten sie fortan gegen jeden seiner Schritte und deckten ihn mit Beschimpfungen ein. Der Kläger E. reichte «im eigenen Namen und im Namen aller 350 geschädigten Gesellschafter» sowie im «Namen aller Deutschen» Strafanzeige gegen Kurt Stöckli und Jürgen Amann ein wegen «Prozessbetrugs und betrügerischer Liquidation». Er beantragte, das Hotel mittels einer Grundbuchsperre vor dem Zugriff Stöcklis und Amanns zu schützen. Das Berner Obergericht wies die Klage wegen formeller Mängel ab; ausserdem sei die Aussage «dumme Deutsche» keine rassistische Äusserung.
Insgesamt sind von verschiedenen Anlegern bis heute weit mehr als zehn Verfahren angestrengt worden, so zum Beispiel gegen die Durchführung eines runden Tischs aller Beteiligten, gegen die Nachlassstundung, gegen die Durchführung der Gläubigerversammlung, gegen die Zusammensetzung des Gläubigerausschusses, für die Absetzung der Sachwalterin sowie Betreibungen und Strafverfahren gegen die Sachwalterin und ihre Organe. Sämtliche Beschwerden, Strafanträge und Betreibungen sind gestützt auf Anträge und Begründungen der Transliq AG entweder abgewiesen oder für nichtig erklärt worden, oder die Gerichte sind auf die Beschwerden gar nicht eingetreten.
Seit dem Erwerb durch die Amann-Gesellschaft 2001 waren im einstigen 4-Sterne-Superior-Hotel Zermatt praktisch keine werterhaltenden Investitionen getätigt worden und schon gar keine Erneuerungsarbeiten. Die Klassifikation «Superior» ist längst auf der Strecke geblieben. Im Herbst 2016, nachdem das Bundesgericht das letztinstanzliche Urteil gesprochen hatte, konnten der Schweizerhof Zermatt und die Residenzen endlich zum Verkauf ausgeschrieben werden. Das Interesse war gross, sagt Stöckli – Hotelketten aus Indien, der Golfregion und China haben sich gemeldet.
Nach dem Bietverfahren und intensiven Verhandlungen hat Ende März der Investor Michel Reybier, Mitbesitzer der Aevis-Victoria-Gruppe den Zuschlag für 25,7 Millionen Franken erhalten. Gemäss Transliq bleiben die Arbeitsplätze erhalten und der Schweizerhof wird nach der Sanierung als 4-Sterne-Hotel weitergeführt. Damit können auch die Anleger wieder Hoffnung schöpfen, dass sie doch noch etwas von ihrem vermeintlich «todsicheren» Investment wiedersehen werden, nachdem die Grundpfandgläubiger und die normalen Gläubiger bedient worden sind.
Und dem einst schillernden Immobilieninvestor Jürgen Amann wurde schliesslich das White Plaza in Basel zum Verhängnis: 2012 verurteilte das Zuger Strafgericht Jürgen Amann zu drei Jahren Freiheitsstrafe – wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher unqualifizierter ungetreuer Geschäftsführung. Er habe die Anleger arglistig getäuscht, sein Konstrukt sei ein «klassisches Lügengebäude». Wie immer in solchen Fällen wehrte sich Amann bei der nächsthöheren Instanz – bis das Bundesgericht 2015 das Urteil des Strafgerichts des Kantons Zug bestätigte und ihn zu 21 Monaten Freiheitsstrafe verurteilte. Gleichzeitig wurde er im Mai 2016 vom Strafgericht des Kantons Zug im Verfahren der Schweizerhof-Kommanditgesellschaft der ungetreuen Geschäftsbesorgung und der Urkundenfälschung schuldig gesprochen und mit 16 Monaten Freiheitsstrafe sowie einer bedingen Geldstrafe bedacht. Vom Vorwurf des Betrugs hingegen wurde er freigesprochen. Weiter muss Amann der Kommanditgesellschaft als Privatklägerin die von der Transliq AG geforderten 3,2 Millionen Franken bezahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig: Sowohl der heute 76-jährige Amann wie auch die Staatsanwaltschaft haben es angefochten.
Hohe Hürde für einen Betrug
Amanns Gaunereien und die Leichtgläubigkeit der deutschen Anleger kommen die Schweiz teuer zu stehen: Nur ein Bruchteil der Kosten für Gerichtsfälle kann den Schuldigen aufgebürdet werden. Doch das schweizerische Strafrecht leistet den Amanns dieser Welt Vorschub: Es verlangt, dass die Bedingung der Arglist erfüllt ist. Opfern wird demnach eine hohe Mitverantwortung aufgebürdet. Bei der Strafverfolgung scheitern die Staatsanwälte deshalb häufig an den hohen Hürden des Tatbestands für Anlagebetrug. Deutschland hingegen hat die Arglistgrenze abgeschafft. Der Zürcher SP-Nationalrat Daniel Jositsch scheiterte 2013 mit seinem Vorstoss, die Schweiz möge nachziehen, um vor allem schwache und handicapierte Personen zu schützen.
Man darf füglich davon ausgehen, dass sich auch Amann dieser gesetzlichen Unterscheidung bewusst war, als er seine Geschäfte in die Schweiz verlagerte. Irgendwann jedoch, so hat auch dieser Fall gezeigt, stolpern die ausländischen Anlagebetrüger aber über die Schweizer Finanzmarktgesetze, die sie nicht antizipiert haben.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch