Der Baumeister der chinesischen Eishockey-Zukunft
Trainer-Ikone Mike Keenan coacht das einzige chinesische Team in der russischen KHL. Warum macht er das?
Mike Keenans Blick wandert übers Eisfeld, der Fokus wechselt im Sekundentakt. Er steht im Mittelkreis des Spielfelds im Sportzentrum Herisau, seine Spieler drehen in hohem Tempo Runden um ihn herum. Keenan sucht, Keenan findet: «Push! Push! Push!», ruft er jenen zu, die den Anschein erwecken, nicht alles zu geben. Was Keenan nicht mag, ist Stillstand. Auch nach dem Ende der Übung, als 20 Sekunden Erholung angesagt sind, will er keinen bloss gleiten sehen. «Beine bewegen!», brüllt er.
«Iron Mike» nennen sie ihn in seiner Heimat in Nordamerikas Eishockeyszene. Den Ruf des Stahlharten und Sturen, der mehrfach auch nach Erfolgen seine Teams verliess oder gehen musste, hat sich Keenan in vier Jahrzehnten Wirkens, mehrheitlich in der NHL, hart erarbeitet. Verhasst bei vielen Spielern, aber stark in der Methodik und oft sportlich erfolgreich.
Vielleicht am treffendsten fasste es einst sein ehemaliger Spieler Bob McGill zusammen: «In Chicago stellte er sich uns am ersten Tag mit den Worten ‹Ich bin Mike, und ihr habt keine Ahnung, was harte Arbeit ist› vor. Doch seine Trainings waren die besten. 50 Minuten lang Vollgas, immer nur ‹Go! Go! Go!›, bis alle Zungen am Boden hingen.»
Die Wandlung Mike Keenans
Das war vor 30 Jahren, Keenan ist mittlerweile 67, anmerken lässt er sich das Alter nicht. «Die Arbeit mit jungen Athleten hält auch mich jung», wird er ein paar Stunden später nach den Trainings sagen. «Ich mache etwas, das ich liebe, nicht jeder hat so viel Glück. Und ich habe auch nach 40 Jahren immer noch diese Passion fürs Coachen und Lehren. Wenn du das im hohen Alter nicht mehr hast, solltest du dich zurückziehen.» Und natürlich habe er sich gewandelt: «Du kannst nach deinen Prinzipien leben. Aber die Methodik ändert.»
Die neue Spielergeneration stellt Fragen, der Ansatz der Achtziger, kein Zuckerbrot, nur Peitsche, funktioniert nicht mehr. Und doch ist Keenan immer noch tätig. Er sagt: «Deine grösste Verantwortung als Lehrer ist nicht, verstanden zu werden, sondern zu verstehen. Wenn du das verinnerlicht hast, kannst du dich anpassen.» Und eines habe sich auch in 40 Jahren nicht verändert: «Die Vorbereitung. Wie du Spielern beibringst, Profi zu sein, auf allen Ebenen: mental, physisch, emotional, taktisch, individuell.»
Keenan ist seit diesem Sommer Cheftrainer von Red Star Kunlun, der chinesischen Mannschaft aus Peking, die seit letzter Saison Teil der russischen KHL-Meisterschaft ist. Keenan folgte auf Wladimir Jursinow, der trotz Erreichen des Playoffs nach Saisonende zurücktrat. In Herisau beginnt der erste Teil der Saisonvorbereitung, die sechs Wochen dauert und einer Welttournee gleicht.
Im Appenzell steht Keenan Spielermaterial für zwei Teams zur Verfügung, darum wird jeder Trainingsblock doppelt geführt. Weiter geht es nach Finnland, dann nach Sotschi und Magnitogorsk, bevor die Reise in Shanghai endet. Spieler um Spieler wird rausfallen, nur wer es dorthin schafft, ist beim Saisonauftakt Ende August fix im Kader. In Shanghai wird die Mannschaft 2017/18 alle Heimspiele austragen, da ihre Arena, die 1200 Kilometer entfernte Olympiahalle Pekings, umgebaut wird.
Hinter allem steckt Olympia
Das KHL-Projekt der Chinesen erscheint im ersten Moment merkwürdig. Auf reges Interesse stösst es auch nicht. Letzte Saison kamen in Peking im Schnitt nur rund 5000 an die Spiele, voll war die 14 000 Zuschauer fassende Arena fast nie. Und als das Team bereits nach Shanghai ausweichen musste, schauten oft keine 1000 Leute zu.
Doch hinter Red Star steckt ein grösserer Plan. China will als Ausrichter von Olympia 2022 auch im Eishockey wettbewerbsfähig sein. Es gibt deshalb auch ein in Shenzhen stationiertes Frauenteam, das in Kanadas Meisterschaft integriert ist. Geld spielt keine Rolle. Die Reisekosten für die nordamerikanischen Gegnerinnen übernimmt Red Star.
Ein einziger echter Chinese
Den längeren Weg zum Erfolg hat aber das Männerteam vor sich. In Keenans Mannschaft findet sich mit dem 18-jährigen Pekinger Rudi Ying nur ein in China geborener Spieler. Dazu kommen sechs Nordamerikaner mit Wurzeln im Reich der Mitte – allesamt sind gewillt, künftig auch für Chinas Nationalteam zu spielen. Wie Zach Yuen, der 2011 in der NHL gedraftet wurde und letzte Saison Geschichte schrieb, als er für Red Star das erste Tor eines chinesischstämmigen Spielers in der KHL schoss.
Yuen (24) ist ein Vorbild dessen, was Red Star sucht: Der Kanadier mit Vater aus Hongkong und Mutter mit chinesischen Vorfahren wuchs in Vancouver mit chinesische Traditionen pflegenden Grosseltern auf und spricht fliessend Kantonesisch und Mandarin. «Darum ist es für mich kein Kulturschock, in China zu spielen», sagt Yuen. «Mein Ziel ist, mit China Erfolge zu feiern, zunächst an Weltmeisterschaften und in fünf Jahren bei Olympia.» Obwohl Ausrichter, ist China 2022 nicht automatisch qualifiziert, da es die Vorgabe von Platz 18 in der Weltrangliste noch nicht erfüllt.
Noch fehlen dazu genug gute Chinesen. Keenans Mannschaft ist vorerst die wohl am buntesten zusammengewürfelte Equipe im Profihockey. Zwölf Nationen vereint sie. «Weil seit Jahren eine Integration unter den Ländern stattfindet, ist das kein Problem», stellt Keenan fest. «Und ich rede auch etwas Russisch, kann also mit allen Spielern kommunizieren.» Die Sprache hat Keenan in den letzten drei Jahren gelernt, als er Magnitogorsk trainierte und 2014 der erste Trainer wurde, der sich Champion in NHL (1994 mit den New York Rangers) und KHL nennen darf.
Nun muss Keenan nicht nur gewinnen, sondern auch weitere Leute wie Zach Yuen aufspüren und ausbilden. Für den Kanadier kein Widerspruch: «Als Trainer lehrst du die Skills und wie sich ein Team entwickeln soll. Dazu gehört das Siegen.» Er werde bis 2022 auch genügend Hockeyaner für Chinas Olympiateam beisammenhaben: «Es gibt mehr Spieler mit chinesischen Wurzeln, als Sie für möglich halten. Wir werden immer mehr finden. Es gibt Orte, die wir noch gar nicht erforscht haben, wie Australien. Wir werden den ganzen Planeten durchforsten.»
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