«Das sind Floskeln»
Volker Lösch macht Theater mit Randgruppen. Jetzt inszeniert er in Bern – und sagt, was er von der Kritik an seiner Arbeit hält.

In Ihren Inszenierungen spielen oft randständige Personen mit. Lässt sich ein Theaterabend mit Echtheitslabel besser verkaufen? Das war nie mein Antrieb. Ich habe diese Art des Arbeitens für mich erfunden, da ich mit dem klassischen Abspielen von dramatischen Vorlagen die Welt um mich herum nicht mehr beschreiben konnte. Seitdem gibt es leidenschaftliche Feindschaften zu Kritikern.
Woher kommt das? Meine Arbeit polarisiert, sie hat eine inhaltliche Entschiedenheit, die vielen nicht gefällt. Es gibt zudem einige, die der Meinung sind, dass Laien auf der Bühne nichts zu suchen haben. Aber der Vorwurf mit dem Echtheitslabel hat auch mit der heutigen Theaterpraxis zu tun.
Inwiefern? Was erfolgreich ist, wird irgendwann zu einem Label, und damit wird dann geworben. Vor 15 Jahren haben nur die Gruppe Rimini Protokoll und meine Teams angefangen, mit Laien zu arbeiten. Heute baut man an jedem kleinsten Stadttheater eine Bürgerbühne auf.
Kritisiert wird, dass Sie vorgeben, die Wirklichkeit abzubilden, aber dabei Ihre eigene erzeugen. Das ist eine Behauptung von Leuten, die schlecht zugucken können. Es ist das Wesen der Kunst, eigene Welten zu erfinden. Die Wirklichkeit vorgeben, wie soll das gehen? Sobald einer auf der Bühne steht, ist es ein künstlicher Vorgang. Etwas anderes habe ich nie behauptet.
Und doch schaffen Sie den Anschein von Authentizität, wenn die auftretenden Personen nicht nur ehemalige Strafgefangene spielen, sondern es auch sind. Natürlich, es ist ja auch interessant, andere Gesichter, andere Körper auf einer Bühne zu erleben, mit dem Wissen, dass diese Menschen eine Autorenschaft an dem jeweiligen Abend haben. Sie bewegen sich anders, sie reden anders, sie haben eine ganz eigene Präsenz. Aber sie spielen alle eine Theaterfigur, nicht sich selbst. Sie sprechen Texte eines Autors und verdichtetes Material aus ihren Interviews, sie werden inszeniert. Ein Sprechchor kann zum Beispiel aus 14 Laien, 2 Schauspielschülern und 4 Profi-Schauspielern bestehen, und alle spielen dieselbe Figur.
Manche sagen, Sie würden einen «Sozialzoo» betreiben, statt Dinge zu hinterfragen. Das sind Floskeln. Ich hinterfrage ständig Dinge. In einer Produktion haben wir zum Beispiel versucht, den Hass zu beschreiben, der sich seit der Wende bei Millionen von Deutschen angestaut hat, und haben danach gefragt, woher er kommt. Nach den Vorstellungen haben wir dann Publikumsgespräche angeboten, zu denen fast alle geblieben sind. So stelle ich mir Theater im besten Fall vor: Es löst so viel aus, dass man auch am nächsten Tag noch darüber redet.
Wie stellen Sie Ihre Bürgerchöre zusammen? Meistens mit einem Aufruf in der Presse und den sozialen Medien, dann durch Castings, bei denen man geeignete Kandidaten fragt, ob sie mitspielen wollen.
In Basel wollten Sie vor vier Jahren mit Leuten aus dem Bankenmilieu arbeiten. Das Vorhaben ist aber gescheitert, weil sich niemand gemeldet hat. Wir waren zu spät. Ein Jahr nach der Bankenkrise konnten wir nur noch anonymisierte Interviews führen. Niemand wollte sich auf einer Bühne outen. Die Leute, die froh sind, eine Bühne geboten zu bekommen, sind meistens jene, die Ungerechtigkeit erfahren haben. Sinti und Roma oder Hartz-IV-Empfänger beispielsweise. Oder ehemalige politische Gefangene in Südamerika, die unters Amnestiegesetz fallen und deren Anliegen von der Gesellschaft ignoriert werden. Wenn man sie ins Theater holt, werden sie auf einmal wahrgenommen.
Versprechen sich manche auch zu viel von einem solchen Auftritt? Die meisten werden persönlich bereichert. Theater ist auch eine soziale Einrichtung, weil man wochenlang zusammen probt, sich immer wieder zu den Vorstellungen trifft und in einer Gruppe agiert. Das führte schon zu extremen Erlebnissen: Ein Delinquent etwa, der immer wieder ins Gefängnis kam, hat zwei Jahre lang nichts verbrochen, weil er das Theaterspielen nicht verpassen wollte. Was viele der Mitwirkenden erzählen, ist, dass man ihnen noch nie so zugehört hat. Indem man ihre Erlebnisse in einen grösseren Zusammenhang stellt, wertet sie das als Persönlichkeiten extrem auf.
Theater als Therapie? Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» wollte mal meine Arbeit abwerten und hat geschrieben, ich sei der Sozialarbeiter des Theaters. Aber das ist natürlich eine Bestätigung meiner Arbeit. Wenn Theater diesen Effekt hat, was ist dagegen zu sagen?
Vor drei Jahren haben Sie sich in Ihrer Basler Inszenierung von Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» explizit gegen das Gedankengut der SVP gerichtet. Haben Sie das aufgeschlossene Theaterpublikum politisch nicht sowieso auf Ihrer Seite? Nicht immer. Bei meiner Inszenierung von «Graf Öderland» vor anderthalb Jahren in Dresden etwa haben die Zuschauer in die Vorstellung reingerufen, weil sie nicht einverstanden waren damit. Tumultartige Szenen im Parkett gabs auch in anderen Arbeiten, weil sich gegensätzliche Fraktionen gestritten haben. Natürlich gibts auch Abende, wo viel Einverständnis herrscht. Aber die gemeinsame Kraft und Identität stärken ist auch wichtig in Zeiten von immer stärkerer Polarisierung.
In Ihrer Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Sozialdrama «Die Weber» von 2004 äusserte eine Figur eine Morddrohung an die deutsche TV-Moderatorin Sabine Christiansen. Darf die Bühne das? Klar darf sie das. Denn es war gar keine Morddrohung, sondern ein Satz im Konjunktiv: «Wen ich sehr gerne erschiessen würde, wäre . . .», lautete er. Zudem wurde er von einer Theaterfigur geäussert, die betrunken war. Persönliche Diffamierungen und reale Gewalt sind natürlich tabu.
Sehen Sie es als Erfolg, wenn ein Projekt solche Aufmerksamkeit erlangt? Aufmerksamkeit befördert inhaltliche Debatten. Wenn etwa als Folge der öffentlichen Diskussion über Ungerechtigkeit, ausgelöst durch meine Hamburger «Marat»-Inszenierung, im Senat über die Wiedereinführung der Vermögenssteuer debattiert wird, dann ist das für mich ein Erfolg.
Jetzt werden Sie das Bachelor-Abschlussprojekt des Studienbereichs Theater an der Berner Hochschule der Künste inszenieren. Wird ein Bürgerchor auftreten? Nein, da stehen die Schauspielstudierenden im Zentrum. Wir versuchen, die Geschichte von Lars von Triers Spielfilm «Dogville» zu erzählen, die viel zu tun hat mit der Situation der Geflüchteten in Europa. Es kommt eine Frau, Grace, von aussen in eine Gemeinschaft hinein, von der sie erst wohlwollend empfangen, aber danach gedemütigt und verstossen wird. Verknappt beschrieben passiert also das, was wir Europäer mit den meisten Menschen machen, die Asyl bei uns beantragen. «Dogville» beschreibt parabelhaft unser Versagen: Als Verursacher der Fluchtgründe lehnen wir jegliche Verantwortung dafür ab. Interessant wirds am Ende des Stücks, denn Grace hat eine radikale Antwort parat.
Premiere «Dogville»: Sa, 22. April, 20 Uhr. Hochschule der Künste, Zikadenweg 35, Bern. Bis 29. April.
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