«Unbezahlbar» oder «angemessen»Das grosse Ringen um den Teuerungsausgleich
Konsum ankurbeln oder Geld sparen: Die Linke in Stadt und Kanton Bern will den Kaufkraftverlust des Personals ausgleichen, die Bürgerlichen warnen.

Die Inflation, das fast vergessene Schreckgespenst, ist zurück und drückt weltweit auf die Kaufkraft. In der Schweiz liegt der Wert derzeit bei 3,5 Prozent. Weil weiter steigende Energiepreise und Krankenkassenprämien absehbar sind, forderte der Schweizerische Gewerkschaftsbund kürzlich Lohnerhöhungen um 4 bis 5 Prozent. Daneben wirken die 3 Prozent für das Personal der Stadt Bern, die von der SP heute Donnerstag im Rahmen der Budgetdebatte verlangt werden, fast schon bescheiden.
Kommt hinzu, dass eine Annahme nicht bedeuten würde, dass die städtischen Angestellten automatisch 3 Prozent mehr Lohn erhielten. «Die genaue Höhe ist wie üblich vom Gemeinderat mit den Sozialpartnern unter Berücksichtigung der finanziellen Lage des städtischen Finanzhaushalts auszuhandeln», schreibt die SP in der Begründung ihres Antrags. In ihrem Vorschlag hatte die Stadtregierung – basierend auf Prognosen aus dem Frühling – 1 Prozent Teuerungsausgleich vorgesehen.
Die Forderung, stattdessen im Budget 3 Prozent einzustellen, soll den nötigen Spielraum für diese Verhandlungen schaffen, sagt SP-Stadträtin und -Co-Präsidentin Lena Allenspach. Würden sich die Sozialpartner auf mehr als 1 Prozent einigen, wäre andernfalls ein Nachkredit notwendig. «Damit erhielte das Stadtpersonal den Ausgleich erst Mitte 2023», sagt Allenspach.
Inhaltlich ist für die SP und ihre linken Verbündeten klar, dass «ein angemessener Teuerungsausgleich» angezeigt ist, wie ihn Allenspach verlangt. «Damit wird verhindert, dass sich städtische Angestellte immer weniger leisten können. Wird ihre Kaufkraft erhalten, profitiert davon auch das Gewerbe.» Für die Stadtkasse bedeutet 1 Prozent Kosten von 3,3 Millionen Franken; 3 Prozent schlagen entsprechend mit rund 10 Millionen zu Buche.
Aebersold will mehr als 1 Prozent gewähren
Auch Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) betont, dass die Annahme des Antrags seiner Partei «kein Freipass» wäre. Die Aushandlung des Teuerungsausgleichs geschehe mit Rücksicht auf die Stadtfinanzen, wie etwa das Ergebnis des letzten Jahres zeige, als sich die Sozialpartner bei einer Teuerung von 1,2 Prozent auf einen Ausgleich von 0,6 Prozent geeinigt hätten.
Dass angesichts der seit Frühling stark gestiegenen Inflationsrate ein Ausgleich von 1 Prozent «nicht angemessen» wäre, habe er schon öffentlich vertreten. «Dazu stehe ich.» Zur Kritik von Mitte-rechts, dass sich die Stadt einen höheren Teuerungsausgleich als das ursprünglich vorgeschlagene Prozent schlicht nicht leisten könne, sagt Aebersold: «Das städtische Personal hat viele Sparmassnahmen mitgetragen, zuletzt die Streichung der Treueprämie nach fünf Jahren. Mit Blick auf die Löhne bei Kanton und Bund können wir uns keinen weiteren Rückschritt leisten.»
Dies wird die bürgerlichen Parteien allerdings nicht dazu bewegen, von ihrer restriktiven Haltung zur städtischen Finanzpolitik abzurücken. «Wir budgetieren bereits mit einem Defizit von 28 Millionen Franken», sagt FDP/JF-Co-Fraktionschef Tom Berger. «Da lässt es die finanzielle Lage einfach nicht zu, weitere 6,6 Millionen Ausgaben einzustellen, zumal der Spielraum der Stadt angesichts der mittelfristigen Prognosen und der geplanten Neuverschuldung künftig noch kleiner wird.»
Dass auch das Gewerbe profitiere, wenn die städtischen Angestellten keinen Kaufkraftverlust erlitten, sei «das linke Narrativ», so Berger. «Steigende Gebühren und Steuern reduzieren die Kaufkraft wesentlich mehr.» Und schliesslich sei es so, dass für das laufende Jahr wohl die wenigsten Angestellten in der Schweiz den vollen Teuerungsausgleich erhalten würden.
GFL «grossmehrheitlich» gegen 3-Prozent-Antrag
Die Grünliberalen werden in dieser Frage abstimmen wie der Freisinn. Es tue ihm leid für das Stadtpersonal, sagt GLP-Stadtrat Remo Sägesser, «aber mehr als 1 Prozent liegt aufgrund der finanziell angespannten Lage schlicht nicht drin». Dass im Budget die höhere Inflation noch nicht berücksichtigt ist, beschäftigt die GLP eher mit Blick auf die Ausgabenseite: «Bei den hohen geplanten Investitionen im Hoch- und Tiefbau ist absehbar, dass alles deutlich teurer wird als ursprünglich berechnet.»
Interessant – und möglicherweise für das Abstimmungsergebnis entscheidend – ist die Haltung der GFL, Rot-grün-Mitte-Partnerin von SP und GB, in Finanzfragen im Vergleich zu diesen aber vorsichtiger. «Wir vertreten grundsätzlich die Haltung, das vom Gemeinderat vorgelegte Budget zu unterstützen», sagt GFL/EVP-Fraktionschefin Francesca Chukwunyere. Deshalb sehe ihre Fraktion «grossmehrheitlich keinen Grund, für den Teuerungsausgleich neu 3 Prozent vorzusehen».
«Alle anderen Zahlen im Budget basieren auch auf Annahmen aus dem Frühling», sagt Chukwunyere. «Es ist nicht sinnvoll, an einzelnen Werten herumzuschrauben.» Was sie als adäquaten Teuerungsausgleich erachten würde, will sie nicht beantworten – und sagt bloss allgemein, «dass sich die Stadt nicht mehr jedes Begehren leisten kann, und sei es noch so berechtigt».
Biel bezahlt pauschal 100 Franken pro Monat
Die Frage des Teuerungsausgleichs stellt sich in den kommenden Wochen in jeder Firma und in allen Gemeinwesen. In der Stadt Biel sind dabei die Vorzeichen ähnlich wie jene in Bern: Sparen ist angesagt. Im Juli verabschiedete die Bieler Stadtregierung das Stabilisierungsprogramm «Substance 2030», mit dem der Finanzhaushalt bis ins Jahr 2026 um rund 25 Millionen Franken pro Jahr verbessert werden soll.
Im nächsten Jahr will der Bieler Gemeinderat Stufenanstiege und Beförderungen einmalig aussetzen, den Angestellten dafür im Gegenzug «im Hinblick auf die erwartete Teuerung eine Erhöhung von 100 Franken pro Monat, gerechnet für eine 100-Prozent-Stelle» gewähren. Damit leisten die höheren Einkommen «einen Verzicht zugunsten der tieferen Einkommen, was sozialpolitisch angezeigt ist», sagt Vize-Stadtschreiber Julien Steiner auf Anfrage.
In Thun, finanziell stabil unterwegs, legt der Gemeinderat die Höhe der Teuerungszulage fest, wie Finanzdirektorin Andrea de Meuron (Grüne) auf Anfrage festhält. Grundsätzlich werde ein Ausgleich ausgerichtet, der sich an den gestiegenen Lebenshaltungskosten orientiere, aber auch an der Finanzlage der Stadt, der Konjunktur sowie der generellen Lohnentwicklung. Die Verhandlungen mit den Personalverbänden fänden voraussichtlich im vierten Quartal statt.
Der Kanton hat sein Budget Ende August verabschiedet. Er sieht darin Lohnmassnahmen von 2 Prozent vor, davon 0,5 Prozent als Teuerungsausgleich. Damit würde das Kantonspersonal «im nächsten Jahr relativ sogar weniger verdienen», monierte die SP. Die Höhe sei noch nicht festgelegt, sagt Co-Parteipräsident Ueli Egger, doch werde seine Fraktion in der Budgetdebatte «einen angemessenen Ausgleich» verlangen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.