
Aus heutiger Sicht wäre alles ganz einfach gewesen: Mitte November kommt Ousman Sonko in die Schweiz und ersucht um Asyl. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) erkennt ihn und dokumentiert die Bundesanwaltschaft umfassend. Er ist nämlich nicht irgendein Asylsuchender, sondern der ehemalige Innenminister Gambias, dem vorgeworfen wird, für Folterungen und andere Verbrechen verantwortlich zu sein. Die Bundesanwaltschaft nimmt ihn wegen Verdachts auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit fest und leitet ein Strafverfahren ein. Man tritt an die Öffentlichkeit: Seht her, wenn mutmassliche Verbrecher in unser Land kommen, machen wir unseren Job! Applaus.
Seit zwei Monaten wäre man in Ruhe an der Arbeit. Gelaufen ist es anders, auch weil die Sache in Wirklichkeit natürlich komplizierter ist: Zuerst musste das SEM entscheiden, ob die Schweiz überhaupt zuständig ist für Sonkos Asylantrag – eine Frage, auf die die Antwort nicht sofort klar war, denn er hatte bereits in Schweden um Asyl ersucht. Dann musste es die Brisanz des Falls erkennen – etwas, das auch vielen von denen, die nun Kritik üben, nicht auf Anhieb gelungen wäre. Und dann hätte das SEM Verantwortung übernehmen, also mehr tun müssen, als den Nachrichtendienst zu informieren und Sonko an den Kanton Bern abzuschieben – eine Pflicht, um die es nicht zu beneiden ist.
Wer, wenn nicht die Schweiz?
Verantwortung übernehmen – das will in diesem Fall bis heute niemand. Es ist geradezu bizarr, wie die involvierten Stellen einander die Verantwortung zuschieben. Wer hat wen wann informiert? Weshalb hat die Bundesanwaltschaft kein Strafverfahren eröffnet? Antworten auf diese Fragen täten not. Im Moment gibt es zwei mögliche Erklärungen für das bis heute andauernde Nichthandeln der Bundesbehörden: Entweder haben sie die Brisanz des Falls verkannt. Oder sie haben aus politischen Gründen zugewartet; immerhin hätte ihnen eine baldige Abreise Sonkos jahrelange Arbeit erspart.
In beiden Fällen sehen die Behörden schlecht aus. Welche Stelle, wenn nicht die eidgenössische Migrationsbehörde, soll eine kompetente Einschätzung vornehmen können, wenn ein Mann wie Sonko ins Land kommt? Und welches Land, wenn nicht die Schweiz, soll mutmassliche Menschenrechtsverletzungen konsequent verfolgen? Womöglich treffen beide Thesen zu. Es gibt Hinweise darauf, dass das SEM über verblüffend wenig Wissen über Gambia verfügt.
Und am Dienstag zitierte die NZZ den Sprecher der Bundesanwaltschaft, André Marty, wie folgt: «Die Bundesanwaltschaft bereitet seit längerem den Sachverhalt auf und klärt zusammen mit der Bundespolizei anstehende Fragen.» Also war die Bundesanwaltschaft «seit längerem» informiert, hat aber aus unbekannten Gründen nicht gehandelt – nicht einmal dann, als der Fall letzte Woche an die Öffentlichkeit gelangte und man deshalb damit rechnen musste, dass Sonko untertaucht.
Kanton Bern: Infos fliessen nicht
Dass die Grundlage für ein Eingreifen da gewesen wäre, hat letzte Woche die Berner Staatsanwaltschaft gezeigt. Nach den ersten Medienberichten ging eine Anzeige ein, worauf sie Sonko festnehmen und für vorerst drei Monate in Untersuchungshaft setzen liess. Sie hat damit Tatsachen geschaffen – die Bundesanwaltschaft wird wohl nicht umhin kommen, das Verfahren nun zu übernehmen. Ansonsten sind aber auch die bernischen Behörden nicht durch Konsequenz und Sachverstand aufgefallen.
Sinnbildlich ist Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP), der letzte Woche ehrlich-schrullig in alle Mikrofone sagte, Mitte November habe «noch kaum jemand Kenntnisse von Gambia» gehabt. Natürlich muss nicht er persönlich auswendig wissen, dass Sonko von 2006 bis September 2016 Innenminister in Gambia war und in dieser Funktion Verbrechen begangen haben soll. Aber er muss von seinen Mitarbeitern in der nötigen Deutlichkeit darauf hingewiesen werden.
Das ist offenbar nicht geschehen, obwohl das SEM den bernischen Migrationsdienst Mitte November über die besonderen Umstände des Asylsuchenden Sonko informiert hatte. So lässt der Fall nicht nur Zweifel an der Kompetenz und am Arbeitswillen der zuständigen Bundesbehörden aufkommen, sondern zeigt auch, dass in der bernischen Polizeidirektion die Informationsflüsse nicht funktionieren.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch
Das grosse Lavieren
Egal, weshalb die Bundesbehörden noch immer zögern, gegen Ousman Sonko vorzugehen: Sie sehen schlecht aus. Aber auch die bernische Polizeidirektion hat Fehler gemacht.