Papierfabrik UtzenstorfDas Ende des weissen Riesen
Bilder, die unter die Haut gehen. Der Berner Fotograf Hans Hofmann hat den Abbruch der Papierfabrik Utzenstorf dokumentiert.

Hätte der Berner Fotograf Hans Hofmann sich im Jahr 2018 nicht ein Herz gefasst und beschlossen, den Abbruch der Papierfabrik Utzenstorf zu dokumentieren, die vielleicht grössten Maschinen des Kantons Bern wären verschwunden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen und ohne, dass wir es gemerkt hätten.

Die Papiermaschinen in Utzenstorf waren etwa 150 Meter lang. Es gab zwei davon. Sie hatten weibliche Namen. Sie hiessen Mona und Lisa. Lisa war die etwas Grössere und sechs Jahre älter als Mona, die den Jahrgang 1986 hatte. In Utzenstorf war seit 1936 ausschliesslich Zeitungspapier hergestellt worden.

Die Papiermaschinen waren gigantische Gebilde aus Tausenden und Abertausenden Teilen, die fein aufeinander abgestimmt nur einem Zweck dienten, der Herstellung von Papier. Es gab ein Lager mit hunderttausend Ersatzteilen für die Maschinen. Die ganze Fabrik, so Hans Hofmann, ist ein grosser Servicebetrieb gewesen, um die beiden zentralen Maschinen, Mona und Lisa, am Laufen zu halten. Vorne floss Faserstoffbrei hinein, und hinten kam das fertige Zeitungspapier heraus. Pro Minute ein Band von etwa einem Kilometer Länge und über vier Meter Breite. Jahresproduktion: 220 Tausend Tonnen. Rohstoff: 260 Tausend Tonnen Altpapier.









Wenn Hofmann von seinen fotografischen Streifzügen erzählt, ist das richtig spannend. Zuerst war er alleine auf dem verlassenen Gelände der stillgelegten Fabrik. Der ganze Betrieb war eingestellt worden. Wo unternehmerische Aktivität sein sollte, war um ihn her alles still, wie gelähmt. Als stünde die ganze Fabrik im Bann eines unbegreiflichen Zaubers. Die grossen Maschinen zu sehen, 150 Meter lang, definitiv Aus, war traurig. Technisch gesehen hätte man sie im Prinzip einfach wieder in Gang setzen können. Und doch passierte nichts. Ihre Zeit war vorbei. Hunderte Tonnen sinnlos gewordenen Metalls. Das liess einen nicht kalt, sagte Hofmann.

Auf der Suche nach Fotosujets geriet Hans Hofmann in finstere Keller, in Hallen, wo da und dort plötzlich eine Lache Wasser stand, kam vorbei an Steuerungen, kryptischen Schalttafeln mit unentzifferbarer Bedeutung, ging durch leere lange Gänge, auf Metalltreppen, hinauf und hinunter, die Geländer entlang, musste aufpassen, sich nicht zu verirren oder zu stürzen.


Später, als die Abbrucharbeiten begonnen hatten, war eine neue, andere Betriebsamkeit auf dem Gelände. Der Fotograf fand sich in Lärm und Staub wieder. Die Kamera, Leica Monochrom, musste zur Reparatur. Er sah zu, wie ganze Gebäude in sich zusammensanken, Stützen knickten, Abrisszangen den Beton zerbissen und Stück um Stück aus der Gebäudestruktur herausrissen, bis man sie nicht mehr erkennen konnte. Alles wurde zu Schutt und Staub. Die Maschinen wurden mit Schweissbrennern, Hämmern, Schraubenschlüsseln, Fräsen und Kabelzangen zerschnitten und aufgelöst. Die Bestandteile wurden getrennt und nicht mehr nach Funktionalität eingestuft, sondern nur noch als Material, das rezykliert werden konnte. Eisen, Kupfer, Aluminium, Gummi, Kunsttoffe.


Die ganze Ordnung der Maschinen, die Organisation des Betriebes für die Papierherstellung zerfiel augenscheinlich Stück für Stück. Am Schluss war alles einfach verschwunden. Der Beton wurde in einer Zerkleinerungsmaschine zu Kies und für den Bau der Autobahn bei Kirchberg verwendet.



Drei Jahre war Hans Hofmann jede Woche mindestens einmal dort und fotografierte. «Jedes Mal, wenn wieder ein Raum oder ein Gebäude verschwunden ist», sagt Hans Hofmann, «empfinde ich eine leise Wehmut. Ich bin wohl der letzte Mensch, der die teilweise wunderschönen Räume sieht und geniesst und der sich nicht überlegen muss, wie dieses Gebäude am besten zum Verschwinden gebracht werden kann.» Im Gegenteil, auf den Fotos bleiben sie sichtbar.


Ausstellung: Hans Hofmann, Ein Ort verschwindet – Papierfabrik Utzenstorf, vom 23. September bis 8. Oktober 2022 auf dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik; Buch: Ein Ort verschwindet, 240 Seiten, an der Vernissage oder www.hans-hofmann.com.
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