Das deutsche System hat versagt
Zuerst Karsten Witzmann, nun Ralph Grosse-Bley: Ringier trennt sich innert drei Monaten von seinem Duo. Die Ära deutscher Journalistenchefs ist zu Ende. Eine Bilanz.

2010 brach Ringier mit einer Tradition. Das Schweizer Medienhaus machte zwei Deutsche zu Chefredaktoren der beiden wichtigsten Boulevard-Titel im Land. Ralph Grosse-Bley übernahm die Leitung des «Blicks», Karsten Witzmann die des «SonntagsBlicks».
Damals wurde dieser Personalentscheid von der Medienbranche mit Skepsis registriert und als Experiment gewertet. Kann das wirklich gut gehen, wenn zwei Deutsche fortan den Boulevardkurs bestimmen? Und sind die Deutschen den Schweizer Journalisten handwerklich tatsächlich überlegen, wie von der Ringier-Führung oft behauptet?
«Unterschiedliche Auffassungen»
Nach mehr als drei Jahren lässt sich nun eine Bilanz ziehen. Denn beide sind nicht mehr im Amt. Im letzten November nahm Karsten Witzmann den Hut. Diese Woche ist Ralph Grosse-Bley an der Reihe. Über die Gründe wird spekuliert. Offiziell heisst es: «Ralph Grosse-Bley verlässt den Blick aufgrund unterschiedlicher Auffassungen in der Weiterentwicklung und Organisation des Newsrooms der «Blick»-Gruppe.» Was immer das heisst.
Nun zur Bilanz: Das Experiment ist gescheitert. Wenn der Erfolg an den Leserzahlen gemessen würde, wäre das Bild wie folgt: Grosse-Bley hat den Rückgang der Leserzahlen des «Blicks» zwar stoppen können, aber es ging nicht aufwärts. Einzig brachte er mit seinem Stil die Zeitung wieder dort hin, wo sie einst vor zwanzig Jahren war: beim knallharten Boulevard. Die Leser-Bilanz von Karsten Witzmann fällt noch schlechter aus. Gemäss den aktuellen Zahlen verlor der «SonntagsBlick» 2012 gegenüber dem Vorjahr 27'000 Leser. Zwar ist die Zeitung mit 805'000 Lesern weiterhin die meistgelesene Sonntagszeitung. «Die Zeitung ist unter ihm zu einer seltsam blutleeren Plattform der Unverbindlichkeit geworden», beschrieb Kurt W. Zimmermann treffend die Entwicklung.
Kein Interesse an der Politik
Und wie schnitt das deutsche Team inhaltlich ab? Diese Frage ist einfach zu beantworten. Auf dem politischen Parkett konnten beide Chefredaktoren keine Akzente setzen. Keiner der beiden Deutschen hat mit Themen wichtige Debatten lancieren noch wirklich prägen können. Auch waren sie nicht als Meinungsführer in Diskussionsrunden präsent. Hinter vorgehaltener Hand heisst es Ringier-intern, dass sich beide nicht wirklich für das Schweizer Politsystem interessierten. Stattdessen hatte Grosse-Bley den «kleinen Mann vom Lande» auf dem Radar. Der prototypische «Blick»-Leser war für ihn männlich, über sechzig Jahre alt, wohnt ländlich und schöpft seine politische Gesinnung rechts der Mitte. Entsprechend bediente der «Blick»-Chef seine Zielgruppe mit Geschichten: Schlüpfrige Stoffe (die Auswahl der «Blick»-Girls war Chefsache), rasende Ausländer, Schlitzer-Storys, viel Unglück, mehr Tragödien und noch mehr Emotionen: Das, was eben Boulevard ausmacht. Relevanz spielte eine Nebenrolle.
Bei der Themensetzung wurde auffallend oft auch ein Grenzüberschritt in Kauf genommen. «Boulevard ist grundsätzlich ein Grenzgängergeschäft», sagte Grosse-Bley einst in einem Interview mit dem Fachmagazin «Schweizer Journalist». In Erinnerung geblieben sein dürfte in dieser Beziehung die Berichterstattung über das Walliser Busunglück, wo der «Blick» die ethischen Grenzen mit dem Abdruck der Kinderfotos deutlich überschritt. Auf Kritik reagierten Grosse-Bley und Witzmann immun. Sie hatten den Leser vor Augen. Das Urteil von Medienjournalisten oder des Presserates interessierte sie wenig.
«Manche finden, Sie sind ein ziemliches Arschloch»
Und wie war der Umgang, die Zusammenarbeit mit den deutschen Chefs? Glaubt man den Berichten von Mitarbeitern, war der Ton scharf. Die Mitarbeiter werden ihnen keine Träne nachweinen. Zu sehr hatten sie in den letzten Jahren unter dem rüden Stil gelitten. «Manche finden, Sie sind ein ziemliches Arschloch. Ist Ihnen das wirklich wurscht?», fragte einst der «Schweizer Journalist» Grosse-Bley. Die Antwort: «Ich bin nicht zum Liebhaben hier. Ich bin hart in den Anforderungen. Wenn mir ein Bildredaktor Fotos bringt, dann kann es sein, dass ich sage: Die sind so schlecht, die nimmt nicht mal der Papierkorb. Ich sage deutlich, was ich denke. Dabei geht es aber immer um die Sache, nie um die Person.»
Die Stimmung kühlte sich in den letzten Monaten ab. Der Abgang der beiden Boulevard-Haudegen kommt insofern nicht so überraschend. Grosse-Bley kündigte es indirekt in in einem Porträt der «Basler Zeitung» an. So sagte er, dass sich «die Umstände, wie sie sich im Newsroom gestalten, bisweilen als schwierig darstellen». Ausserdem stelle er sich die Frage, welche Konsequenzen er daraus ziehe, «dass der wirtschaftliche Erfolg nicht da ist». Für den wirtschaftlichen Erfolg der «Blick»-Gruppe zeichnet Verlagsleiterin Caroline Thoma verantwortlich. Nebst diesem versteckten Tritt ans Schienbein sinnierte Grosse-Bley auch offen über seine Zukunft bei Ringier: «Ich muss mir klar werden, ob ich zufrieden bin.»
Eine Frau übernimmt
Es sind die typischen Schweizer Gepflogenheiten, an denen Grosse-Bley und Witzmann hier in der Schweiz wohl gescheitert sind. Mit Andrea Bleichers Beförderung zur Chefredaktorin ad interim des «Blicks» beendet Ringier die Ära der deutschen Chefs. Es übernimmt eine smarte Journalistin, die lange das Schlüsseldossier Nachrichten leitete. Der «Blick» wird weiblicher. Und Ringier bricht erneut mit einer Tradition.
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