Das böse Erwachen in der Karnevalsstadt
Der Traum von Europa wird zum Albtraum. Die Kölner verzeichnen den schlechtesten Saisonstart der Geschichte – nun soll ein alter Bekannter helfen.

0:1. Ernüchterung. Der erhoffte Befreiungsschlag bleibt aus. 0:1 gegen Bate Borisov, den weissrussischen Meister, ein Team mit einem geschätzten Marktwert von 15 Millionen Euro. Das Weiterkommen in der Europa League ist in weite Ferne gerückt. Die Geduld der Fans ist am Ende, Pfiffe tönen aus dem Gästeblock. Als die Spieler sich zögerlich auf diesen zubewegen, schwappt ihnen eine Welle der Ablehnung entgegen. Die Botschaft der Fans, sie ist klar: «Wir haben die Schnauze voll!»
Dabei war doch vor fünf Monaten alles so gut in Köln, die Welt war so in Ordnung, die Karnevalsstadt machte ihrem Namen alle Ehre, es wurde gefeiert, als gäbe es keinen Morgen.
«Endlich ertönen unsere Lieder, von Mailand bis nach Riga, wir sind international, der Fussballgott hat ein Einsehen, auf dass es nie vorbeigeht, FC International»
So lauten die Zeilen eines Liedes, das eigens zur Qualifikation der Europa League komponiert wurde, gesungen vom Kölner Rapper und FC-Fan Mo-Torres, veröffentlicht am 20. Mai 2017, dem Datum einer Zeitenwende, so nannte es zumindest der «Kölner Stadtanzeiger».
Ja, die Vorfreude auf die Europa League war gross im Rheinland, die Gedanken schon in den grossen Stadien Europas. Sie träumten von Spielen gegen das grosse Arsenal oder gegen die glamouröse AC Milan. «Das ganze Rheinland auf der Bühne Europas endlich würdig repräsentiert», rappte Mo-Torres. Dazu ein nostalgisches Video, es herrschte Aufbruchstimmung bei den Geissböcken.
Das Video des Rappers Mo-Torres. Quelle: Twitter/1. FC Köln
Katerstimmung in Köln
Fast fünf Monate sind seit dem Tag vergangen, an dem die Qualifikation zur Europa League dank einem 2:0-Sieg über Mainz geschafft war. Das erste Mal seit 25 Jahren. An diesem Tag gab es im Rheinenergiestadion kein Halten mehr. Die Fans stürmten den Platz, weil sie durften, weil es ein so historischer Tag war. Trainer Peter Stöger wurde an der Pressekonferenz nach dem Spiel mit einer Bierdusche eingedeckt, die Spieler skandierten: «Europapokal, Europapokal!»
Bis heute ziert ein Bild des Platzsturms vom Mai den Twitterkanal der Kölner. Das wars dann aber auch schon. Sonst ist nichts mehr übrig von diesem Tag der Zeitenwende in der Karnevalsstadt, die nicht mehr feiert, sondern immer noch den Kater von der vergangenen Saison auszuschlafen scheint. Die Euphorie ist der Ernüchterung gewichen, der graue Ligaalltag herrscht wieder über Köln. Und er könnte kaum grauer sein.

Da war die Welt noch in Ordnung. Kölner Fans stürmen den Rasen. Bild: Getty Images
Schlechtester Saisonstart der Geschichte
Das Wort Krise ist ja bekanntlich relativ. Bei den Bayern zum Beispiel spricht man von einer, wenn die Mannschaft gegen Hoffenheim und PSG verliert. Wenn sie gegen Wolfsburg eine 2:0-Führung verspielt, und nur einen Punkt holt. In Köln aber, da darf man momentan das Kind beim Namen nennen und von einer Krise sprechen. Von einem Debakel sogar.
Erst einmal ist es in der Geschichte der Bundesliga vorgekommen, dass eine Mannschaft so schlecht startete wie der «Effzeh». Das war Saarbrücken 1963/64, in der ersten aller Bundesliga-Saisons. Wie der 1. FC Köln 54 Jahre später, startete auch der Verein aus dem Saarland mit nur einem Punkt aus acht Spielen – danach stieg er ab.
Es läuft derzeit alles schief bei den Kölnern. Der Grund ist der wohl banalste, den es im Fussball gibt: Die Mannschaft bekommt zu viele Tore und schiesst keine. Vier sind es in acht Bundesliga- und drei Europa-League-Spielen. Lediglich im Cup gegen die Leher Turnerschaft, einen Verein aus der 5. Liga, holten die Kölner einen Sieg. Besser noch: Sie gewannen 5:0.
Der Arbeiter für den Knipser
Dass die Tore fehlen, liegt einerseits natürlich am Abgang von Anthony Modeste, andererseits am schwachen Transfermarkt. Der Franzose war in der vergangenen Saison die prägende Figur bei Köln, 25 Tore erzielte er in 34 Spielen. Nur die Superstürmer der Liga, Pierre-Emerick Aubameyang und Robert Lewandowski, waren erfolgreicher. Da waren die Chinesen natürlich nicht weit. Nach einem Hickhack, das sich nahtlos in den verrückten Transfersommer einfügte, verliess Modeste den Verein Richtung China.
Als Ersatz wurde Jhon Córdoba geholt. Der Kolumbianer, mit einer Reputation von 13 Bundesliga-Toren in 59 Spielen, sollte den Knipser Modeste ersetzen. Ein Fehlgriff. Schliesslich ist Córdoba eher dafür bekannt, ein «Chrampfer» zu sein, er ist kein Modeste oder Lewandowski. So schossen andere die wenigen Tore, und weil es so wenige sind, kann man sie an einer Hand abzählen: Frederik Sörensen, Dominique Heintz und Yuya Kubo heissen die drei Bundesliga-Torschützen. Sörensen und Heintz sind Innenverteidiger. Immerhin: Córdoba erzielte das bisher einzige Europa-League-Tor.
Pizarro – ein Akt der Verzweiflung?
Die Führung des 1. FC Kölns um Manager Jörg Schmadtke war also gezwungen zu handeln. Und so ereignete sich Ende September ein überraschender Transfer. Oder war es ein Akt der Verzweiflung? Der bis dahin vereinslose Claudio Pizarro, immerhin bester ausländischer Torschütze der Bundesliga-Geschichte, soll Köln aus der Krise schiessen. Und mit Milivoje Novakovic hat noch ein weiterer altgedienter Bundesliga-Stürmer den Kölnern seine Dienste angeboten. Gratis sogar.
Gelegenheit, wieder in die Spur zu finden, haben die Kölner schon am Sonntag. Dann gastiert mit Werder Bremen der zweite Krisenclub der Bundesliga im Rheinenergiestadion. Auch die Norddeutschen haben noch keinen Sieg auf dem Konto. Dafür aber vier Unentschieden und somit drei Punkte mehr als Köln.
Eine besondere Rolle könnte Pizarro im Duell der zwei Letzten der Liga einnehmen. Schliesslich wurde er in Bremen mit seinen Toren zur Legende. Im Sommer hatte Bremen-Trainer Alexander Nouri dann aber keine Verwendung mehr für den 39-Jährigen. Nun könnte es ausgerechnet der Peruaner sein, der Nouris Abgang besiegelt, denn eine Niederlage gegen dieses Köln würde ihn wohl den Job kosten. Es wäre eine Geschichte, die irgendwie zu den letzten turbulenten Monaten von Köln passen würde.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch