Bundesrats-Kurs in Türkei-Frage kommt schlecht an
Muss die Schweiz Recep Tayyip Erdogan klarer den Tarif durchgeben? Würden Sie noch in die Türkei reisen? Das sagen Redaktion Tamedia-Leser.

In einem Monat stimmen die Türken über eine Reform ihrer Verfassung ab, und normalerweise wäre das ausländischen Medien nicht dermassen viel Platz wert. Doch dieses Mal geht es erstens um brisante Änderungen – Recep Tayyip Erdogan will mit dem neuen Präsidialsystem seine Macht deutlich ausbauen – und zweitens tut er in diesen Tagen alles, um sein Heimpublikum zu mobilisieren: Nicht nur in Zürich hat ein (am Ende abgesagter) Propagandaauftritt seines Aussenministers Mevlüt Cavusoglu für viel Wirbel gesorgt.
Onlinekommentare von Redaktion Tamedia-Lesern machen das Dilemma deutlich: «Meinungsäusserungsfreiheit muss sein», schreibt etwa eine Leserin: «Allerdings hat sie meiner Meinung nach dort ihre Grenze, wo sie dazu missbraucht wird, einen Gastgeberstaat zu diskreditieren sowie Hass-und Hetzpropaganda zu verbreiten.» Ein anderer Kommentator schreibt: «Ich persönlich hätte die Wahlveranstaltungen toleriert und/oder geduldet. Aber man rufe in Erinnerung: Erdogan hat die Referendumsgegner als Terroristen und Verräter abgestempelt. Kampagnen von Gegnern wurden gestört, die Rednerpulte gestürmt. (...) Meinungs- und Redefreiheit darf keine Einbahnstrasse sein!»
Insgesamt scheint der Tenor unter den Lesern klar: Sie halten türkische Propgandaauftritte im Ausland für nicht tolerierbar. Das zeigt eine nicht repräsentative Umfrage von Redaktion Tamedia. 55 Prozent der Befragten finden: Ein Staat, der gegenüber seinen eigenen Bürgern Meinungs- und Redefreiheit verletzt, solle im Ausland nicht auf diese Grundwerte pochen. Weitere 32 Prozent finden, mit seinem aggressiven Auftreten habe sich Präsident Erdogan das Recht auf Wahlkampfauftritte im Ausland verspielt. Nur 13 Prozent würden ihm dennoch ein Auftrittsrecht gewähren.
Wenig Verständnis zeigen die Befragten für die Haltung des Bundes: Das Aussendepartement gab grünes Licht für einen Auftritt von Mevlüt Cavusoglu. 80 Prozent der Leser stehen nicht hinter diesem Entscheid – 65 Prozent von ihnen wegen der Missachtung der Menschenrechte in der Türkei, weitere 15 Prozent haben Sicherheitsbedenken. Nur 20 Prozent unterstützen mit Blick auf die diplomatischen Interessen den defensiven Kurs des Bundesrates gegenüber der Türkei.
Hartes Vorgehen gefordert
Konfrontation, Diplomatie oder freundliches Ignorieren: Was ist die richtige Strategie im Umgang mit dem Autokraten am Bosporus? Die Meinungen unter den Redaktion Tamedia-Lesern sind geteilt: 58 Prozent finden, die EU-Mitgliedsstaaten sollten die Türkei unter Druck setzen und die – ohnehin schon praktisch auf Eis gelegten – Beitrittsgespräche offiziell suspendieren. Fast ebenso viele sprechen sich für einen zurückhaltenderen Kurs aus: das Gespräch suchen und die Türkei an die Einhaltung der Menschenrechte erinnern (15 Prozent) oder die Provokationen schlicht ignorieren (35 Prozent). Bei dieser Frage waren mehrere Antworten möglich.
Anfang Woche wurde bekannt, dass die Spionage-Aktivitäten des Erdogan-Regimes bis in Schweizer Unis reichen. Schürt das bei unseren Lesern Ängste vor persönlichen Nachteilen? Offensichtlich nicht. 65 Prozent fühlen sich gemäss unserer Umfrage sicher und äussern ihre Kritik an der Türkei uneingeschränkt, hingegen schweigen 7 Prozent aus Angst vor Repressionen öffentlich lieber. 28 Prozent würden sich mit Kritik zurückhalten, wenn sie etwa wirtschaftliche Interessen in der Türkei hätten oder demnächst ins Land reisen würden.
Apropos Reisen: Rund 95 Prozent geben an, dass sie derzeit nicht mehr in die Türkei reisen – sei es aus Protest gegen die prekäre Menschenrechtslage (88 Prozent) oder aus Angst vor Terroranschlägen oder repressiven Massnahmen (7 Prozent).
Viel Aufsehen erregte der Aufruf des «Blicks» an türkische Stimmbürger, am 16. April Nein zur Verfassungsreform zu stimmen. Erdogan hielt daraufhin zur besten Sendezeit die auf Türkisch geschriebene Titelseite des Blicks in die Kamera und forderte eine Wiedergutmachung. Besser kam die Aktion bei den Redaktion Tamedia-Lesern an: 53 Prozent von ihnen begrüssen es, dass ein Schweizer Medium Stellung gegen das Erdogan-Regime bezieht und würden sich wünschen, dass andere Medien nachziehen. Fast ebenso viele bewerten den Appell allerdings kritisch: Knapp 26 Prozent finden, die provokative Aktion spiele Erdogan in die Hände und helfe ihm, seine Wähler zu mobilisieren, während 22 Prozent darin eine unnötige Einmischung sehen.
Zur Umfrage Über 1600 Leser haben sich in den letzten Tagen an der nicht repräsentativen Umfrage von Redaktion Tamedia beteiligt. 95 Prozent der Teilnehmenden gaben an, sie hätten keine familiären Verbindungen in die Türkei. Die restlichen Befragten sind türkische Staatsangehörige oder haben Verwandte im Land.
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