
Am Mittwoch hat der «Blick» berichtet, dass in Bern eine Sozialhilfebezügerin ungehindert ihrer Shoppingsucht nachgehen konnte, ohne dass jemand auf dem Sozialamt dies bemerkt hätte. Sie hortete sackweise teure Kleider in ihrer Wohnung, die sie nicht brauchte. Kein Wunder – der zuständige Beamte hat 100 Fälle zu betreuen. Wie will er sich da noch mit einem einzelnen auseinandersetzen, ihm zuhören, nachfragen, den Puls fühlen? Geschweige denn nach Möglichkeiten suchen, wie man sein Potenzial nutzen könnte, wohin man ihn vermitteln könnte. Es reicht nur für das Nötigste: das Verwalten des Dossiers.
Wie so viele solcher Fälle, deutet auch dieser darauf hin, dass wir in der Sozialhilfe grundsätzliche Probleme haben. Nicht unlösbare, aber solche, die Veränderungen am System nahelegen. Zunächst einmal sind da die Kosten: Während die Sozialhilfequote über Jahre stabil geblieben ist und sich bei etwa drei Prozent eingependelt hat, sind die Kosten seit 2005 auf über das Doppelte gestiegen. Die Ausgaben für die Sozialhilfe belaufen sich heute in der Schweiz auf insgesamt mehr als 2,7 Milliarden Franken.
Diese Entwicklung ist Ausdruck des Bevölkerungswachstums, davon, dass mehr Menschen von der Sozialhilfe leben. Die Quote ist stabil geblieben, die Bevölkerung hat zugenommen. Absolut gesehen sind es deshalb mehr Leute, die Hilfe brauchen. Weiter sind die höheren Mieten und Krankenkassenprämien ein Grund, dass auch die Sozialhilfe teurer wird.
Und schliesslich benötigen viele Sozialhilfebeziehende spezielle Hilfe. Es genügt nicht mehr, ihnen die Wohnung, die Krankenkasse und das Essen zu bezahlen. Auch sind es nicht die Ferien oder die neue Matratze, die ins Gewicht fallen. Sondern spezielle Betreuungsmassnahmen, etwa in einer Institution, oder durch einen Beistand.
Leute nicht abhängen
Problematischer als die Kosten, die unser Gemeinwesen immer noch tragen kann, ist aber eine andere ungesunde Entwicklung: Dass sich Menschen an das Leben in der Sozialhilfe gewöhnen, dann auch ihre Kinder, und dass solche Leute gar nicht mehr versuchen, sich für den Arbeitsmarkt fit zu machen. Kurz und erschreckend: Dass sie den Gedanken an ein Leben in staatlicher Abhängigkeit eigentlich ganz okay finden.
Eine aktuelle Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft legt nahe, dass die Anreize in der Sozialhilfe heute vielfach zu schwach sind, um Sozialhilfeabhängige zur Rückkehr in den Arbeitsprozess zu animieren. Das Ziel einer Gesellschaft muss es sein, Menschen zu helfen, die in Not geraten, und sie schnellstmöglich wieder zu integrieren. Konzipiert wurde die Sozialhilfe als Überbrückungshilfe, bis die Leute wieder ihre Selbstständigkeit erlangen.
Was also tun? Eine Gruppe von SVP-Politikern schlägt vor, die Höhe der Sozialhilfe von zuvor geleisteten AHV-Beiträgen und bezahlten Steuern abhängig zu machen. Das geht nicht, weil die Sozialhilfe nicht an Bedingungen geknüpft werden darf. Sie ist das letzte Netz, welches das Überleben sichert. Und dieses Netz ist nicht verhandelbar.
Die Sozialhilfe als sogenannte Bedarfsleistung richtet sich nach der Bedürftigkeit. Deshalb werden Leute, die auf den Sozialämtern Hilfe suchen, zuerst einmal gründlich durchleuchtet. Sie dürfen selber kein Vermögen haben und auch keine vermögenden Familienmitglieder, ansonsten müssen diese zuerst einspringen.
Die Politik muss korrigieren
Das Beispiel in Bern zeigt, dass die Sozialhilfeabhängigen dringend besser betreut werden müssen. Die Behördenvertreter sollen sich persönlich um die Leute kümmern können, ihre Möglichkeiten und Talente erkennen und sie mit kreativen, unbürokratischen Ideen unterstützen. Und sei es nur, dass sie vorerst die Gartenarbeit eines Nachbarn erledigen.
In vielen Städten und Gemeinden geht das wegen des schieren Andrangs nicht mehr. Doch die Lösung ist nicht, dass ein einzelner Beamter gleichzeitig 100 Fälle betreut. Sondern, dass die Gemeinde und Städte mehr Leute einstellen, die mit Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen und Durchsetzungskraft dafür sorgen, dass ihre Klienten wieder arbeiten. Das ist zwar teurer, zahlt sich aber aus.
Das Sozialwesen ist in den letzten Jahren professioneller geworden. Das bedeutet auch: weniger menschlich. Diesen Trend muss die Politik korrigieren. Das bringt noch nicht die totale Willkür. Es bedeutet nur, dass man wieder näher bei den Menschen ist.
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Bessere Betreuung zahlt sich aus
Die Kosten steigen und die Sozialbehörden sind überlastet. Das System ist professioneller geworden, aber auch weniger menschlich.