Mehr Platz wegen EinäscherungenDie Natur floriert auf Berner Friedhöfen
Neben Grabsteinen und Urnen gibt es immer mehr ungenutzte Rasenflächen – und damit ein grosses Potenzial, den Artenreichtum zu fördern.

Es summt und brummt auf dem Friedhof Wohlen: Margeriten und Wiesensalbei blühen, Schwalbenschwänze flattern umher, und Grashüpfer springen durchs hohe Gras. Noch bis im März vergangenen Jahres war auf dieser Fläche ein herkömmlicher Rasen vorzufinden, knapp zehn Pflanzenarten wuchsen darauf. Nun gedeihen über 60 verschiedene Pflanzen auf den 250 Quadratmetern Wiesenfläche. Zudem fungiert sie als wertvoller Lebensraum und Futterquelle für verschiedene Tierarten: Pro Pflanzenart profitierten durchschnittlich zehn Tierarten, sagt Biologe Wolfgang Bischoff.

Bischoff ist Initiator eines Projekts, das ungenutzte Friedhofsflächen zu artenreichen Blumenwiesen aufwertet. Friedhöfe bieten dafür ein spezielles Potenzial: Auf ihnen wurde in den vergangenen zwanzig Jahren so viel Grünfläche frei wie ansonsten kaum im Siedlungsraum. Dies liegt an der Veränderung unserer Bestattungskultur: Gemäss Walter Glauser, ehemaliger Friedhofschef der Stadt Bern, werden heutzutage 90 Prozent der Verstorbenen eingeäschert, was deutlich weniger Platz benötigt.
Nur noch zweimal mähen pro Jahr
Während in grösseren Städten wie Zürich und Bern bereits viel für die Biodiversität auf Friedhöfen getan werde, sei man in kleineren Friedhöfen noch nicht so weit, sagt Wolfgang Bischoff. Hier setzt sein Projekt an: Teilnehmende Gemeinden erhalten kostenloses Saatgut, das in artenreichen Wiesen der Region geerntet wurde. Vor der Aussaat müssen der Boden aufgelockert und die vorherigen Gräser beseitigt werden; so konkurrenzieren diese nicht mit der der neuen Saat.

Den Rasen einfach stehen zu lassen und nicht mehr zu mähen, bringe dabei nicht dieselben Ergebnisse: Wird nicht neu ausgesät, kommen kaum neue Arten hinzu, wie Biologe Bischoff sagt. Ist die Blumenwiese einmal gediehen, muss sie nur noch zweimal im Jahr gemäht werden. Zum Vergleich: Eine herkömmliche Rasenfläche wird zehn- bis zwanzigmal pro Jahr gemäht. Die Wiese gar nicht mehr zu schneiden, wäre der Biodiversität allerdings auch nicht förderlich: Sind die Wiesen zu dicht und schattig, können sich nur noch die konkurrenzstarken Gräser durchsetzen oder es bildet sich Gehölz.
Die erste Runde des Projekts ging bereits erfolgreich über die Bühne: Neben Wohlen sind diesen Frühling auch auf den Friedhöfen Biel, Burgdorf und Aarberg artenreiche Blumenwiesen entstanden. Nun startet das Projekt in die zweite Runde. Ziel ist es, im kommenden Jahr 5000 Quadratmeter Rasen auf zehn Friedhöfen aufzuwerten, mindestens die Hälfte davon soll im Kanton Bern liegen. Dies entspricht der Grösse eines halben Fussballfelds. Finanziert wird das Saatgut von der Stiftung Sostenuto und von Pro Natura Bern. Die Friedhöfe sollen dabei auch als Vorzeigeprojekte dienen und zur Aufwertung von weiteren öffentlichen und privaten Rasenflächen anregen.
Gewaltiges Potenzial bei Privaten
Biodiversität auf Friedhöfen kann auch anderweitig gefördert werden: Mit Laub-, Ast- oder Steinhaufen erhalten Igel, Eidechsen und andere Kleintiere Unterschlupf und geeigneten Lebensraum. In der Stadt Bern wird dies schon seit längerem praktiziert. Bereits in den 90er-Jahren wurde damit begonnen, die Rasenflächen weniger intensiv zu pflegen. Insbesondere der Schosshaldenfriedhof verfügt über wertvolle alte Böden, auf denen sich in den letzten 20 Jahren artenreiche Wiesen gebildet haben, unter anderem mit Orchideen.
Auch ausserhalb der Friedhöfe bemüht sich die Stadt darum, nicht genutzte Rasenflächen aufzuwerten, jüngst beispielsweise bei der Haltestelle Bachmätteli in Bümpliz. Ein gewaltiges Potenzial liege allerdings auch bei den Rasenflächen von Privaten, sagt Nik Indermühle von Stadtgrün Bern. Insbesondere in Siedlungen mit Mehrfamilienhäusern werde auf den Grünflächen oft ein Gebrauchsrasen gemäht, ohne dass dieser tatsächlich genutzt werde. Als Inspiration für private Gartenbesitzende veranstaltet die Stadt am 3. Juni den «Offenen Biodiversitätsgarten»: Private mit naturnahen Gärten öffnen ihre Tore und geben ihre Erfahrungen an Interessierte weiter. Die Stadt möchte Gartenbesitzende auch explizit zu Nachbarschaftsprojekten ermuntern. Ziel ist es, dass angrenzende Gärten ein Netz an naturnahen Lebensräumen bilden. So können sich Kleintiere wie der Igel ungehindert darin bewegen und erhalten einen Lebensraum.
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