«Reine Steueroptimierung wird nicht mehr akzeptiert»
Wochenaufenthalter werden bereits heute stark kontrolliert, sagt Experte Reto Steiner.

Herr Steiner, die Stadt Bern möchte Wochenaufenthalter steuerlich zur Kasse bitten. Wie revolutionär ist das? In der Schweiz gibt es gemäss Schätzungen 100'000 Wochenaufenthalter. Bereits heute bezahlt ein kleiner Teil von ihnen auch Steuern am Arbeitsort. Dies gilt zum Beispiel für Wochenaufenthalter, die eine Firma mit über hundert Mitarbeitenden leiten und durch ihre berufliche Stellung so stark belastet sind, dass die sozialen Beziehungen am Wohnort in den Hintergrund treten. Verschiedene Städte fordern seit jeher eine Ausweitung der Sonderregelungen auf alle Wochenaufenthalter. Aber mit der Einreichung eines Vorstosses im Nationalrat durch Alexander Tschäppät (SP) wird das Thema erstmals auf die gesetzgeberische Ebene gehoben. In diesem Sinne erhält die Debatte eine neue, konkretere Dimension.
Wie schätzen Sie die politischen Chancen des Vorstosses ein? Die Chancen dürften relativ gering sein. Schliesslich werden im Kanton Bern und andernorts die Zentrumslasten der Städte durch Lastenausgleichsysteme bereits heute teilweise abgegolten. Zudem haben die Städte auch einen Zentrumsnutzen. Die Wochenaufenthalter zahlen Miete, kaufen ein und tragen zur Auslastung des Poststellennetzes oder der kulturellen Angebote bei, was wiederum zur Schliessung von Poststellen auf dem Land führen kann.
Wie gross ist das steuerliche Potenzial, das die Städte abschöpfen könnten? Dies einzuschätzen, ist schwierig. Ein Grossteil der Wochenaufenthalter sind Studierende, deren Einkommen zu gering ist, um besteuert zu werden. Wochenaufenthalter, die viel Geld verdienen, dürften eine Minderheit darstellen.
Zur Abklärung des Lebensmittelpunkts dieser Minderheit betreiben die städtischen Steuerverwaltungen einen grossen Aufwand. Wochenaufenthalter müssen heute regelmässig nachweisen, dass sie am Wochenende tatsächlich an ihren Wohnort zurückkehren. Zudem ist die Gerichtspraxis strenger geworden. So hat das Bundesgericht jüngst entschieden, dass einer Person, die am Arbeitsort im Konkubinat lebt, der Wochenaufenthalterstatus zu Recht aberkannt wurde. Trotzdem ist der Aufwand doch enorm. In der Stadt Bern sind fünf Personen damit beschäftigt, den Lebensmittelpunkt von Wochenaufenthaltern abzuklären. Dies zeigt ja, dass das Problem ernst genommen wird. Reine Steueroptimierung wird nicht mehr akzeptiert.
Schafft die Besteuerung von Wochenaufenthaltern am Arbeitsort nicht mehr Steuergerechtigkeit? Diese Frage kann man sich zu Recht stellen. Sie muss aber durch die Politik beantwortet werden. Eine Besteuerung müsste auch praktikabel sein.
Auch Pendler nutzen die städtische Infrastruktur. Müsste man auch die Pendler besteuern? Diese Forderung mag ihre Berechtigung haben, aber sie ist politisch unrealistisch. Praktisch wäre eine Pendlersteuer nur als Quellensteuer am Arbeitsort denkbar. Aber die Umsetzung wäre äusserst komplex. Zurzeit gibt es immerhin erste zaghafte Schritte in diese Richtung, indem viele Kantone die Abzugsmöglichkeiten für Pendler in der Steuererklärung reduziert haben, um Fehlanreize abzubauen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch