Das Jubiläum der Volksschule findet nicht statt
Die Einführung der Schulpflicht war einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zum demokratischen Staat. Gefeiert wird in Bern jedoch auf Sparflamme.

Der Erlass des ersten Primarschulgesetzes im Jahr 1835 sei ein «ganz spezielles Ereignis» und das 175-Jahr-Jubiläum «ein besonderer Moment», sagt Erziehungsdirektor Bernhard Pulver. Tatsächlich sind sich die Experten einig: Die Einführung der allgemeinen Schulpflicht war einer der wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zu einem liberalen, demokratischen Staat und stellt eine der grössten Errungenschaften unserer Gesellschaft dar. Die Festivitäten im Kanton Bern stehen dazu aber in keinem Verhältnis. Geplant sind lediglich ein Filmwettbewerb und eine kleine Ausstellung (siehe Kasten). Das Gesamtbudget beträgt rund 150 000 Franken.
Andere Kantone haben vorgemacht, wie man es auch hätte machen können. Zürich liess 2007 das «Karussell der Zeit» durch den Kanton tingeln und brachte damit der Bevölkerung die Schulgeschichte auf unterhaltsame Art näher. Ausserdem wurde ein stattliches Werk über die Geschichte der Volksschule verfasst. Das Budget des Jubiläumsjahres betrug 1,35 Millionen Franken. «Das war gut investiertes Geld», sagt Martin Wendelspiess, Leiter des Zürcher Volksschulamts. Während Monaten habe die Volksschule für positive Schlagzeilen gesorgt. Neben den oft kontroversen Diskussionen um Schulreformen sei dies «gut, wichtig und wertvoll» gewesen. Auch im kleinen Kanton Thurgau hat man für das Jubiläum im vergangenen Jahr über eine Viertelmillion Franken ausgegeben und damit ein kleines Lehrmittel über die Schulgeschichte, eine witzige Plakatkampagne und ein grosses Fest mit 100 Schulklassen finanziert. Aargau feiert gleichzeitig mit Bern und steckt knapp 1,4 Millionen Franken ins Jubiläum. Mit Zelt und Zirkuswagen geht die Schulgeschichte dort auf Tournee. Geplant sind zudem ein grosses Open-Air, ein Wettbewerb um das originellste Klassenfoto und vieles mehr. «Ein Jubiläum fördert auch das Bewusstsein für die Leistungen der Volksschule», heisst es von der Projektleitung.
Doch warum bleibt der Kanton Bern kurz nach dem 3,14 Millionen Franken teuren 175-Jahr-Jubiläum seiner Universität so bescheiden? Die angespannte Finanzlage sei ein wichtiger Grund für die Zurückhaltung des Kantons, sagt Bernhard Pulver. Auch die anstehenden Kantonswahlen hätten eine Rolle gespielt. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, der Erziehungsdirektor wolle sich mit Jubiläumsfeierlichkeiten profilieren. Viel wichtiger als eine pompöse Feier sei ihm, so Pulver, «dauernde Wertschätzung» gegenüber der Volksschule und ihren Akteuren zu zeigen. Bei der Lehrerschaft kommt das gut an: «Die Lehrkräfte sind in ihrem Alltag so beschäftigt, dass sie gar keine Zeit für Jubiläumsaktivitäten hätten», sagt Michael Gerber vom Berufsverband Lebe. Die Wertschätzung des Erziehungsdirektors sei ihnen wichtiger.
So wohlüberlegt ist der Verzicht auf grosse Jubiläumsaktivitäten dann aber doch nicht. Die Erziehungsdirektion hat den bedeutsamen Termin schlicht verschlafen. Erst durch den Hinweis einer Historikerin der Universität Bern wurde sie überhaupt auf das Jubiläum aufmerksam. Für grosse Sprünge war es dann aber längst zu spät, da potenzielle Sponsoren und der Kanton selber ihre Budgets bereits gemacht hatten. So wird das Jubiläum im Kanton Bern still und leise über die Bühne gehen. Vielleicht schafft es der Kanton Bern dann ja zum 200-Jahr-Jubiläum, wenigstens die Geschichte seiner Volksschule aufzuarbeiten. Denn auch hier herrschte bisher äusserst vornehme Zurückhaltung.
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