Ohne Halt durchs Bernbiet
Die Saison der Fahrenden ist angelaufen. Zur Destination Bern urteilen sie: Der Dialog mit der Behörde ist so gut wie noch nie. Nur die Ergebnisse sind so schlecht wie eh und je.

Es ist ein unwirtlicher Ort, aber er ist derzeit dicht bewohnt: Der Ausstellplatz für Lastwagen an der Autobahn A 1 bei Wileroltigen ist seit Wochenbeginn von gut 30 Gespannen ausländischer Fahrender belegt. Der Bund, dem der Platz gehört, verlangt den Weiterzug der Gruppe nach maximal vier Tagen. Die Fahrenden selbst sagen, das Gespräch mit Behörde und Polizei sei konfliktfrei verlaufen.
Trotz konfliktfreiem Verlauf erinnert die Episode an den Dauerkonflikt, den sich der Kanton Bern zum Thema Fahrende leistet. Drei Schlagzeilen aus dem vergangenen Jahr seien dazu in Erinnerung gerufen. Erstens die frohe News des Regierungsrats, man sei nun in der Lage, neue Plätze für Fahrende zu schaffen – in Muri, Erlach und Herzogenbuchsee. Zweitens die unfriedliche Stimmung im Seeland, nachdem dort grosse Verbände französischer Roma strandeten. Und drittens die resolute Abfuhr des Kantonsparlaments für den von Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) präsentierten Vorschlag, wie die Lage für die reisenden Roma zu entschärfen sei: Sein neun Millionen Franken teures Projekt für einen Platz für transitreisende Roma bei Meinisberg blieb absolut chancenlos.
Applaus für die Mini-Vision
Neuhaus nahm zwar daraufhin die Gemeinden in den Verwaltungskreisen Seeland und Biel-Bienne ins Gebet und rang ihnen eine Art kollektive Beichte ab: Alle Gemeinden räumten ein, es brauche zur Entschärfung der Lage zwingend neue, vielleicht auch bloss befristete Plätze. Die bescheidene «Vision», ausländischen Fahrenden ein paar kleine, vorübergehende Halteorte anzubieten statt einen Platz à la Meinisberg, wurde von den im Fokus stehenden Gemeinden wohlwollend aufgenommen. Nur zeigt sich zu Beginn der Reisesaison: Die Ersatz-, Übergangs- oder Notlösung ist nicht da. Der Kanton Bern ist keinen entscheidenden Schritt weiter.
«Maximal unbefriedigend»
Während die bei Wileroltigen gestrandeten ausländischen Fahrenden bloss konstatieren, dass ihr Schweizaufenthalt nicht wie erhofft verläuft, sind die in der Schweiz verwurzelten fahrenden Jenischen und Sinti hin und her gerissen. Beim Blick auf Bern pendelt ihre Gemütsverfassung zwischen Anerkennung und Frustration. Daniel Huber, Präsident der Radgenossenschaft der Landstrasse, sagt, Bern gehöre inzwischen zu jenen Kantonen, «die die Anliegen und Rechte der fahrenden Minderheiten wirklich ernst nehmen». Gleichzeitig seien in Bern die konkreten Resultate ernüchternd.
Der Mangel an Plätzen sei unvermindert gross. Und zum Teil würden Lösungen angepeilt, die «die Bedürfnisse nicht wirklich decken». Huber denkt dabei an die jungen Bewohnerinnen und Bewohner der überbelegten Siedlung Buech bei Bern. Für sie sei die anhaltend fehlende Perspektive «maximal unbefriedigend». Generell verschärfe der Mangel an Transitplätzen die Lage der in der Schweiz verwurzelten Jenischen und Sinti zusätzlich.
Verschärfungstendenzen
Ähnlich urteilt Andreas Geringer. Er präsidiert den Verband Sinti und Roma Schweiz und wirkt seit Anfang Jahr als Mediator. Geringer sagt, der Dialog mit bernischen Behörden sei «so gut wie vielleicht noch nie». Ihr Engagement bei der Platzsuche sei enorm. Gleichzeitig beurteilt er den Istzustand als schlecht, mit Tendenz hin zur Verschlechterung. Tatsächlich sind Verschärfungstendenzen sichtbar. Zum einen machen Gemeinden vermehrt Druck auf Landwirte, die bis anhin gegen Entgelt Spontanhalte von schweizerischen oder ausländischen Fahrenden ermöglicht haben. So hat etwa Aarberg beschlossen, das gemeindeeigene Polizeireglement zu verschärfen. Künftig können dort Kosten für Sauberkeit und Sicherheit von bis zu 10'000 Franken auf die Landwirte abgewälzt werden.
Verbreitete «Vergrämungspolitik»
Andere Gemeinden üben sich derweil in passivem Widerstand, indem sie mögliche Zufahrten mit Hindernissen blockieren. «Verbauungsmassnahmen» kündeten auch die Anstalten Witzwil in ihrem internen Infoblatt an. Das ist brisant, weil die Institution 900 Hektaren Staatsland bewirtschaftet, das die Regierung bei der Suche nach möglichen Provisorien genauer unter die Lupe nehmen möchte. In der Kantonsverwaltung spricht man angesichts des Gesamtbildes inzwischen gar von einer «Vergrämungspolitik» der Gemeinden. Philippe Chételat, der Regierungsstatthalter des Verwaltungskreises Biel/Bienne, sagt auf Anfrage, bei den Gemeinden sei die Einsicht zwar gross, dass es dringend Lösungen brauche: «Nur sehen sie sich praktisch nie als möglichen Ort für diese dringenden Lösungen.» Mit fast deckungsgleicher Wortwahl geben Chételat wie Neuhaus zu Protokoll: «Am Schluss steht und fällt aber alles mit den Gemeinden.»
9000 Franken Miete
Oft steht und fällt die Lösung für die Fahrenden aber auch mit den Bauern, die noch Spontanhalte gewähren. Doch Geringer sagt, konfliktfreie Spontanhalte würden seltener. Es sei spürbar, dass viele Landwirte unter Druck seitens der Gemeindebehörden stünden und auf die vorhandenen Möglichkeiten vertraglicher Lösungen verzichteten. Und dann gebe es auch jene, die aus der Notlage Profit schlagen wollten: «Wenn ein Bauer für einen zweiwöchigen Aufenthalt auf seiner Wiese 9000 Franken verlangt, muss unsereins kapitulieren.»
Doch auch dort, wo die Gemeinden Fahrenden ein Türchen offen halten, gibt es Verschärfungen. Für Daniel Huber grenzt es schon fast an «Wucher», wenn Gemeinden wie wiederum Aarberg die Pauschalgebühr für einen Halt auf 30 Franken pro Tag und Fahrzeug festlegten: «Das kann eine jenische Familie eigentlich nicht mehr bezahlen.» Auch Geringer findet, dass das kein Angebot, sondern eher ein Akt der Abschreckung sei. Auf den offiziellen Halteplätzen gelten in der Regel Mieten von 8 bis 15 Franken pro Tag und Gespann.
Und die frankofonen Gefährten, die jetzt von Wileroltigen aus weiterziehen, sind sich von Frankreich her Mieten von rund 5 Euro pro Tag gewöhnt.
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