Mamablog: Interview mit einem Pfadileiter«Bei uns gibt es keine Noten und keine Politik»
«Nezumi» wendet wöchentlich bis zu zehn Stunden für einen unbezahlten Job auf – als Pfadileiter. Was ihn motiviert und wie Kinder von der Pfadi profitieren können.
Nezumi (Pfadiname des Leiters, Anm. der Redaktion), du bist Leiter in der Pfadi meines Sohnes. Wenn dieser von euren Übungen heimkommt, ist er schmutzig, hat rote Wangen und auffällig gute Laune – was macht ihn so glücklich?
Als ich selbst ein Pfadikind war, liebte ich vor allem das Zusammensein mit den Gspändli und das Wühlen im Dreck. Und: Mich bei lustigen Spielen mit kostümierten Leitern auszutoben und einen Nachmittag in der Natur zu verbringen. Genau diese Momente möchte ich heute als Leiter meinen Wölfli schenken.
Kannst du mir die verschiedenen Stufen der Pfadi erläutern und was da so auf dem Programm steht?
Die jüngsten Kinder (4- bis 7-Jährige) sind bei uns die Fünkli. Mit ihnen toben wir uns im Wald und auf Spielplätzen aus, wo uns oft Fabelfiguren begegnen, die unsere Hilfe brauchen.
Die Wölfli (7- bis 11-Jährige) lernen Geheimschriften, Feuer machen, Spuren lesen und legen. Das kann uns dabei helfen, einen Kriminellen zu finden oder ein Zwergendorf vor der grossen Flut zu retten.
Die Pfadis (11- bis 15-Jährige) vertiefen solches Wissen, folgen damit aber komplizierteren Themen und Geschichten, bei denen ihre Entscheidungen an Gewicht gewinnen und den Verlauf der Übungen auch verändern. All dies findet immer im Rahmen unserer Begrüssungs- und Abschiedsrituale statt, sowie einem Zvieri, den wir manchmal auch im Wald über dem Feuer zubereiten.
Ich fand es immer toll, wie ihr schon die Kleinsten mit euren Abenteuern begeistert. Welche Kinder sprecht ihr besonders an?
Grundsätzlich alle. Wilden, neugierigen Kindern gefällt es bei uns aber sicher besonders gut. Doch unsere Abteilung besteht aus einer so grossen Vielfalt an Persönlichkeiten, sodass jeder seinen Platz und seine Gspändli findet. Aber Achtung: Es hat Spinnen im Wald!
Die Pfadi bietet viel Natur, Abenteuerlust und Kreativität und steht im Gegensatz zum Ufzgi-Machen und dem Schielen auf die nächste Gamestunde. Wovon profitieren Kinder in der Pfadi?
Die Pfadi ist eine Gegenwelt zum durchgetakteten Alltag. Bei uns gibt es keine Klassen, keine Noten, keine Politik. Jeder ist der, der er ist und kann in einem geschützten Rahmen auch mal die eigenen physischen und psychischen Grenzen ertasten. Ich denke, es ist dieses Freiheitsgefühl, der Bezug zur Natur und der Mangel an Zwang, was die Pfadi so besonders macht.
Bei euch lernen Kinder von Jugendlichen, die ihrer Welt noch viel näher sind als Eltern. Ihr macht «Seich» mit den Kindern, wo Eltern längst die Stirn runzeln. Wird es euch nicht auch mal zu bunt?
Ja, die Kuh vergisst schnell, dass sie selbst mal Kalb war. Für uns Leiter bietet die Pfadi einen Übergang von der Kindheit in die Erwachsenenwelt, hin zur Verantwortung. Wir erlauben uns selber auch noch die eine oder andere Dummheit, die man im Alltag längst nicht mehr machen könnte, was die Kinder natürlich super finden. Unvergesslich, wie einer meiner Leiter einen Bagger im Fluss versenkte. Aber ja, manchmal müssen wir die Kinder stoppen, bevor es zu wild wird… Ob sie sich tatsächlich aufhalten lassen, sei dahingestellt.
«Noch schöner sind eigentlich nur die entspannten Gesichter der Eltern, die ihre Kinder abholen.»
Ihr Leiter engagiert euch ohne Lohn, neben Beruf oder Ausbildung. Ihr verbringt viel Zeit an Sitzungen, mit Ausbildungen und vor allem mit Übungen, während eure Kollegen am See chillen. Was motiviert euch?
Tatsächlich wende ich jede Woche bis zu zehn Stunden für einen nicht bezahlten Job auf. Doch in der Pfadi kann ich mich mit Kollegen treffen und gleichzeitig etwas Gutes tun. Wir Leiter wollen die Pfadi-Erfahrung unserer Kindheit weitergeben, so wie unsere Leiter sie einst an uns weitergaben. Und wenn ich nach einer Übung die glücklichen und erschöpften Kindergesichter sehe, dann fühlt es sich einfach richtig an. Noch schöner sind dann eigentlich nur die entspannten Gesichter der Eltern, die nach einem ruhigen, freien Nachmittag ihre Kinder abholen.
Ein schöner Werdegang, erst zu empfangen und dann weiterzugeben. Wie viele der Pfadis werden zu Leiterinnen und Leitern?
Ein grosser Teil verlässt die Pfadi in den frühen Jugendjahren, um mehr Zeit für andere Hobbys oder die Schule zu haben. Doch seit wir vor ein paar Jahren eine Stufe gegründet haben, bei der Pfadis langsam auf das Leiterleben vorbereitet werden, erleben wir einen regelrechten Leiterboom. Ich leite sogar mit einem meiner alten Wölfli.
Wie ist das eigentlich mit den Pfadinamen, die man meist in abenteuerlichen, nächtlichen Taufen im Lager erhält. Haben die einen Bezug zum Charakter des Kindes?
Die Rituale sind natürlich streng geheim und werden von Abteilung zu Abteilung unterschiedlich gestaltet. Aber überall haben die Namen eine Bedeutung. Mit ihnen wollen wir uns eine neue Identität und damit die Chance auf einen neutralen Start geben. Die Namen bekommen die Kinder im Alter zwischen sieben und neun Jahren. Und ja, sie sind dem Charakter des Kindes angepasst. Viele leben sich aber durch die Pfadi auch immer mehr in den Pfadinamen hinein. Ich zum Beispiel wurde Nezumi, nach dem japanischen Wort für Maus getauft, da ich klein und scheu wie eine Maus war. Heute bin ich gross und laut, aber in der Nacht schleiche ich mich leise in den Vorratsraum und esse alles weg. So bleibt jeder seinem Pfadinamen irgendwie treu.
«Jeden Tag eine gute Tat», war einst das berühmte Motto der Pfadi, mit dem sie sich auch dem allgemeinen Wohl verpflichtete. Wie vermittelt ihr das in der heutigen Zeit?
Der Gründer der Pfadi sagte einst: «The most worth-while thing is to try to put happiness into the lives of others.» Was auf Deutsch so viel bedeutet, wie: «Das Wertvollste ist es, zu versuchen, Glück in das Leben anderer zu bringen.» Darauf bauen wir noch immer: Wir wollen die Natur schützen, die Bedürfnisse anderer erkennen, einander respektieren und helfen.
Während des Lockdowns habt ihr euch regelmässig mit Filmen und Rätseln an eure Kinder gewandt. Wie war und ist die Coronazeit für euch in der Pfadi?
Es war schwer, sich nicht mehr zu treffen, die «Höcks» alle nur online durchzuführen und die Motivation aufrechtzuhalten. Viele Jugendliche fielen während des Lockdowns tatsächlich in ein Loch und auch wir Leiter hatten mit dieser Ermüdung zu kämpfen. Dass wir aber online für unsere Kinder da sein konnten und miteinander in Verbindung standen, half uns allen sehr.
Wenn nun Kinder die Pfadi einfach mal ausprobieren möchten, was ist zu tun? Kann man einfach mal einen Nachmittag reinschnuppern?
Am besten schaut man im Internet, welche Pfadiabteilung in der Nähe ist. Bei den meisten Abteilungen kann man gut einfach mal reinschnuppern. Im Moment sollte man sich jedoch besser im Vorhinein per Mail melden. Wir freuen uns immer über neue Interessenten.
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