Bauern frustriert über ihren Erfolg
Die Abstimmungsvorlage zur Ernährungssicherheit kam dank Macht und Einfluss des Bauernverbands zustande. Doch just von dessen Basis gibt es nun Kritik am neuen Verfassungsartikel.

Es begann mit einem Rekord. In nur drei Monaten sammelte der Schweizer Bauernverband (SBV) sagenhafte 150'000 Unterschriften. So effizient war in der Geschichte der Schweizer Demokratie kaum irgendein Komitee. Viele scheitern im Gegenteil daran, innert eines Jahres an die 100'000 Unterschriften zu kommen, die für eine Volksinitiative benötigt werden. Doch «Ernährungssicherheit», das Anliegen des Bauernverbandes, traf offensichtlich den Nerv der Leute. Und, entscheidender noch: Es war eben der Bauernverband, der die Sammelaktion im ersten Halbjahr 2014 managte. Er und seine Alliierten zählen seit langem zu den professionellsten und schlagkräftigsten Lobbys der Schweizer Politik.
Am 24. September wird das Volk nun abstimmen – allerdings nicht über die Initiative, sondern über den vom Parlament kreierten Gegenvorschlag. Dieser sieht einen neuen Verfassungsartikel zur «Ernährungssicherheit» vor, wie das auch die Initiative tat. Es finden sich freilich einige feine, doch semantisch bedeutsame Unterschiede.
Der Rückzug als Fehler
Die Initiative verlangte, die «einheimische Produktion» zu stärken und den «administrativen Aufwand» für die Landwirtschaft gering zu halten. Von Letzterem ist im Gegenvorschlag nicht mehr die Rede. Und die Bestimmungen zur landwirtschaftlichen Produktion sind deutlich umfassender und weniger auf das «Einheimische» ausgerichtet. Der Hauptunterschied findet sich aber in den sogenannten Übergangsbestimmungen. Die Initiative verlangte Gesetzesanpassungen innert zweier Jahre. Indes konnten auch die Initianten selber nicht benennen, was es aus ihrer Sicht anzupassen gälte. Der Gegenvorschlag soll nun erklärtermassen ohne geänderte Gesetze auskommen.
Im Parlament wurde die Vorlage, von ein paar versprengten Nein-Votanten abgesehen, quer über alle Fraktionen gutgeheissen. Und die Initianten waren damit so zufrieden, dass sie den Rückzug ihres Begehrens veranlassten. Der Gegenvorschlag braucht jetzt bloss noch, wie jeder neue Verfassungsartikel, das Ja von Volk und Ständen.Wenn der «Ernährungssicherheit» überhaupt Gefahr droht, dann geht sie just von jenen aus, die sich eigentlich freuen müssten. «Viele Landwirte sind frustriert über diese Vorlage», sagt Samuel Krähenbühl, stellvertretender Chefredaktor beim «Schweizer Bauern», der wichtigsten Publikation der Branche.
Krähenbühl erinnert an das ursprüngliche Ziel der Initiative: «Geplant war eigentlich, die Agrarpolitik 2014–17 teilweise rückgängig zu machen.» Die Landwirte seien heute zu umfangreichen ökologischen Leistungen gezwungen, um unterstützt zu werden – für ihre Produkte wiederum erhielten sie weniger Geld. «Der Bauernverband lancierte die Initiative, weil er merkte, wie die Betriebe unter der Agrarpolitik 2014–17 leiden. Mit dem Gegenvorschlag wird jetzt aber der Status quo zementiert», sagt Krähenbühl. Hinter vorgehaltener Hand würden viele Landwirte den Rückzug der Initiative als Fehler kritisieren.
Schutzzölle sollen abgebaut werden
Markus Ritter, Präsident des Bauernverbands, will von diesen Vorwürfen nichts wissen: Die Anliegen der Initiative seien zu 80 Prozent im Gegenvorschlag enthalten. Freilich haben Äusserungen von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP) jüngst latente Befürchtungen innerhalb der Branche verstärkt.
Schneider-Ammann liess bei mehreren Gelegenheiten durchblicken, dass er den Gegenvorschlag zum Anlass nehmen könnte, Schutzzölle abzubauen. In der Tat will die Vorlage explizit «grenzüberschreitende Handelsbeziehungen» fördern. Jetzt müssten die «Alarmglocken schrillen», schrieb unlängst eine Bäuerin aus dem Berner Jura im «Schweizer Bauern»: Der Gegenvorschlag bereite das Terrain für die «neoliberale Politik» des Bundesrates. «Mir ist schleierhaft, warum die Initianten sich auf diesen Deal einlassen.»
«Nicht akzeptabel» ist der Gegenvorschlag auch für den Landwirt und früheren Zürcher SVP-Nationalrat Ernst Schibli. Er übt heftige Kritik am Bauernverband, der sich «derart locker von der eigenen Volksinitiative verabschiedet» habe.
Wie die Bauern letztlich abstimmen werden – und wie stark sie damit das Endresultat beeinflussen –, ist schwer abzuschätzen. «Ich selber habe mich noch nicht entschieden», sagt Samuel Krähenbühl vom «Schweizer Bauern», der auch für die SVP im Berner Kantonsparlament politisiert. «Agrarpolitisch ist die Vorlage eigentlich verkehrt. Aber eine Ablehnung», fügt er beinahe seufzend hinzu, «wäre als Signal ebenfalls verheerend.»
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