Aus Grau wurde Gold
Die Vorher-Nachher-Bilder zeigen: Das restaurierte Genfer Grand Théâtre ist so prächtig, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr war.

Noch stehen Baumulden vor der Genfer Oper an der Place de Neuve, der Réceptionist beim Künstlereingang sitzt hinter einem provisorischen Tischchen, und Elektrizität gibts gerade keine. Aber das macht nichts, denn die Hauptsache ist fertig – und atemberaubend schön.
Fast geblendet steht man im Treppenhaus und versucht, sich zu erinnern, wie es beim letzten Besuch aussah: grau? Oder eher beige? Auf jeden Fall langweilig. Und nun gibt es da Gold und Dunkelrot und Tannengrün, echten Marmor und gemalten, Kassettendecken mit reicher Stuckverzierung, Parkett statt Spannteppich, kurz: Empirestil, wie man ihn sich prunkvoller nicht wünschen könnte. Einzig ein paar Designerlampen, die sehr robusten Holztüren und runde Messing-Bartheken erinnern daran, dass man das Jahr 2019 schreibt.
Vorher leere Kassetten, nachher farbige Pracht: Der Brand von 1951 hat fast alle Stuckatur-Elemente in der Decke des Atriums zerstört. Nun wurden sie rekonstruiert.
Es ist nun wieder, was es früher einmal war, dieses Grand Théâtre, das 1879 mit Rossinis «Guillaume Tell» eröffnet wurde: ein stolzer Bau. Der Genfer Architekt Jacques-Elysée Goss hatte sich an der damals neuen Pariser Opéra Garnier orientiert, und man hätte sein Werk zweifellos in Ehren gehalten – wenn nicht ein Feuer dazwischengekommen wäre. 1951 brannte das Gebäude ab, die Bühne und der Zuschauerraum wurden vollständig zerstört, der Rest arg beschädigt. Ein herber Schlag zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn als das Haus 1962 endlich wieder eröffnet wurde, zeigte sich vor allem eines: dass man mit dem originalen Stil nicht viel anfangen konnte.
Originale Zeugen
Restaurieren ist nun mal eine Zeitgeistangelegenheit. In den 1950er-Jahren bedeutete es: modernisieren, möglichst pragmatisch. Auf die alte Pracht konnte man verzichten, Nüchternheit war angesagt. Keine Buntheiten, bitte. Und wo noch Reste der Stuckaturen übrig waren, versteckte man sie hinter Gipsdecken. Die passten besser zum neuen Saal, der eher nach Kino als nach Theater aussieht und mit der von Lämpchen gebildeten «Milchstrasse» an der Decke eine ganz andere, modernere Form von Dekoration erhielt.
Heute geht der Trend wieder in die andere Richtung, nicht nur in Genf. Auch in der Zürcher Tonhalle wird die Zeit gerade optisch ins späte 19. Jahrhundert zurückgedreht. In Genf finden sich, wenn man genau hinschaut, sogar da und dort ein paar Felder mit der originalen Bemalung: Zeugen dafür, wie genau man die Vergangenheit wieder belebt hat.
An manchen Orten musste man sie auch neu herstellen. Die Stuckaturen in der Atriumsdecke etwa wurden beim Brand bis auf ein einziges Geviert zerstört; nach diesem Vorbild wurde der Rest rekonstruiert. Auch der Parkettboden ist neu im alten Stil: Eine Ecke davon sah man auf Fotos aus der Zeit vor dem Brand (die übrigens alle schwarzweiss waren – weshalb die Farben, die man unter dem Grau fand, tatsächlich überraschten).
Mehr Kontraste: Die Farben sind nun wieder so, wie sie ursprünglich waren.
Allerdings, auch da sind sich die Projekte in Genf und Zürich ähnlich: Nicht alles, was später kam, verschwindet. Die Tonhalle wird ihr Foyer von 1939 behalten. Und Genf hat immer noch seine (digital aufgerüstete) Milchstrasse. Der Saal selbst wurde nur ein bisschen geputzt und mit einer neuen Lüftung versehen; sonst blieb alles gleich.
Da passt es, dass der Genfer Intendant Tobias Richter für die Wiedereröffnung keine Neuproduktion angesetzt hat, sondern noch einmal die erfolgreiche «Ring»-Inszenierung von Dieter Dorn präsentiert. Den wirklichen Neustart wird es dann im Herbst geben, wenn der Zürcher Aviel Cahn, der derzeit noch die Vlaamse Opera leitet, die Genfer Intendanz übernimmt und die restaurierten Räumlichkeiten «mit allerlei Aktivitäten beleben» will, wie er gegenüber dieser Zeitung sagt: «Das Theater soll ein Treffpunkt werden, nicht nur ein hehrer Ort für Oper und Tanz.»
Weniger Energie, mehr Platz
Es dürfte seinen Plänen entgegenkommen, dass das Haus nicht nur prächtiger geworden ist, sondern auch effizienter, in jeder Hinsicht. Der Energieverbrauch wird sinken, dank einem neuen Dach. Und statt der sieben Standorte, auf welche die Ateliers und Büros der Genfer Oper bisher verteilt waren, braucht man nun nur noch vier. Die Werkstätten und Lagerräume befinden sich nach wie vor anderswo, aber die ganze Verwaltung ist nun im Haus untergebracht.
Denn es ist grösser geworden während der Restaurierung. Im Untergeschoss hat man 800 Quadratmeter und dank Oberlichtern auch Tageslicht gewonnen, für Proberäume, Garderoben, eine Bar und eine Küche. Und zuoberst im Haus wurde die Fläche um 200 Quadratmeter für Büros und ebenfalls eine Bar erweitert. Hier sieht es nun unmissverständlich nach 21. Jahrhundert aus: funktionell, schick, ein bisschen futuristisch.
Unter dem renovierten Deckenfresko befindet sich nun eine Bar.
Wie grosszügig das alles angegangen wurde, sieht man an jeder Ecke. Rund 70 Millionen Franken hat die ganze Aktion gekostet – und wegen eines Wasserschadens nicht zwei, sondern zweieinhalb Jahre gedauert.
In dieser Zeit bespielte die Genfer Oper eine Ersatzbühne: das Théâtre des Nations, einen einfachen Holzbau, den man für (privat finanzierte) elfeinhalb Millionen Franken in einen Park nahe beim Sitz der Vereinten Nationen gestellt hat. Ohne die Komponistenporträts an den Seiten sähe dieses Theater ein bisschen wie ein Schulpavillon aus, im Innern herrscht Kinoatmosphäre. Aber es hat gleich im doppelten Sinn einwandfrei funktioniert: Einmal wegen der günstigen Akustik; zum anderen, weil das Publikum tatsächlich mitkam in dieses kulturelle Niemandsland nördlich der Rhone – und begeistert war von der weit weniger förmlichen Atmosphäre, die hier herrschte.
Grosse Pläne im Uno-Quartier
Das hat auch andere kulturelle Akteure in Genf interessiert. Die Initianten der Cité de la Musique vor allem, die 2023/2024 ganz in der Nähe eröffnet werden soll. Sie soll einerseits einen Konzertsaal bieten, ein drittes Zuhause für das Orchestre de la Suisse Romande neben der Victoria Hall und dem Grand Théâtre. Andererseits soll die Musikhochschule einziehen. Finanziert wird das Ganze privat: Ein anonymer Mäzen hat zugesichert, einen Grossteil der notwendigen 270 Millionen Franken zu bezahlen; für den Rest sucht man derzeit weitere Sponsoren.
Für die Oper allerdings ist das Abenteuer UNO-Quartier zu Ende. Es gibt zwar viele, die das bedauern. Aber der Platz im Park stand nur leihweise zur Verfügung, der Holzbau muss weg – und wird in China weitere Verwendung finden.
Eröffnung: 12.–17. Februar mit Wagners «Ring des Nibelungen». www.genevaopera.ch
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