Auf der Suche nach den verlorenen Söhnen
Zehntausende Kinder – hauptsächlich Knaben – werden in China jedes Jahr entführt und von wohlhabenden Familien gekauft. Trotz der hohen Zahlen schweigen die Behörden. Und die Täter bleiben straflos.

17 Jahre lang suchte Ye Jinxiu nach ihrem entführten Kind, verlor dadurch ihr Zuhause, ihren Mann und ihre Gesundheit. Als sie ihren Sohn schliesslich fand, wollte der nichts mehr mit ihr zu tun haben. Heute hilft die 59-Jährige anderen Eltern, ihre Kinder wiederzufinden.
Denn Yes Schicksal ist kein Einzelfall. Zehntausende Kinder, hauptsächlich Knaben, werden jedes Jahr in China verschleppt. Die meisten von ihnen werden verkauft – an Familien, die sich einen männlichen Nachfahren wünschen.
Verantwortlich für den massenhaften Kinderhandel sind die Ein-Kind-Politik und die allgemeine Präferenz für Söhne. Die Polizei sehe oft tatenlos zu, und die Familien, die Kinder kaufen, kämen meist straflos davon, klagen betroffene Eltern wie Ye.
«Wenn dein Kind entführt wird ist das schlimmer, als wenn dir das Herz aus dem Leib gerissen wird», sagt Ye. Obwohl sie fast blind ist und Blut hustet, harrt sie an einer Bushaltestelle in der ostchinesischen Hafenstadt Fuzhou aus. Am Boden vor sich hat sie ein riesiges Plakat mit den pausbäckigen Gesichtern verschleppter Kinder ausgebreitet.
Kinder an reiche Paare verkauft
Die chinesischen Behörden veröffentlichen keine Zahlen zu Kindesentführungen. Gleichzeitig aber geben sie an, dass allein zwischen Januar und Oktober 2013 rund 24'000 Kinder wiedergefunden wurden.
Viele der Kleinen würden im armen Landesinneren entführt und in den reichen Provinzen an der Ostküste verkauft, sagt der Pekinger Journalist Deng Fei, der ebenso wie Ye Familien bei der Suche nach ihren Kindern unterstützt. Nach seinen Schätzungen werden jährlich zehntausende Minderjährige verschleppt, wobei pro Kind umgerechnet tausende Franken bezahlt würden.
Manchmal weigere sich die Polizei, die Anzeige der Eltern aufzunehmen, weil sich die vielen ungelösten Fälle nicht gut in der Statistik machten, erzählt der Journalist. Manchmal sind die Eltern selbst an dem Kinderhandel beteiligt – einige von ihnen ohne es zu wissen, andere, um Geld zu bekommen. Im Dezember stand in der Provinz Shaanxi eine Hebamme vor Gericht, die sieben Kinder verkauft haben soll, nachdem sie den Eltern eingeredet hatte, ihre Söhne und Töchter seien schwer krank, wie staatliche Medien berichteten.
Kind für iPhone
Ein Paar in Shanghai verkaufte Zeitungsberichten zufolge seine Tochter, um sich ein iPhone leisten zu können. Sie hätten dem Mädchen ein besseres Leben bei einer wohlhabenden Familie ermöglichen wollen, rechtfertigten sie sich, als ihr Fall aufflog.
Yang Jing aus der Provinz Sichuan suchte 13 Jahre lang nach ihrem Sohn, nachdem er an ein reiches Paar verkauft worden war – von ihrem Ehemann. «Man sagte mir, das sei gar keine Entführung, weil der Vater ihn weggeben habe», sagt die 35-jährige Mutter.
Ye Jinxius Suche nach ihrem Sohn dauerte vier Jahre länger. Sie fahndete in über zehn Provinzen, nachdem der damals Sechsjährige 1993 verschwunden war. Sie schlief in Parks, arbeitete als Müllsammlerin und Tellerwäscherin, bettelte um Geld.
Beinahe sei sie bei ihrer Odyssee gestorben, sagt Ye. Ihr Mann habe sie gebeten, die Suche aufzugeben, und sie schliesslich verlassen. 1995 machte die Mutter das Haus der Kinderhändler ausfindig. Erst nach jahrelangem Druck sei die Polizei eingeschritten, sagt Ye. Im Jahr 2000 seien dann drei Verantwortliche zu höchstens drei Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Von der leiblichen Mutter entfremdet
Danach dauerte es noch einmal zehn Jahre, bis Ye ihren Sohn Lu Jianning wiedersah. Ihm aber war die Mutter fremd geworden. Ein Jahr blieb er bei ihr, dann verschwand er und hat sich in den vergangenen zwei Jahren nicht mehr gemeldet.
«Ich bereue trotzdem nichts», sagt Ye. «Er kann selbst entscheiden, wie er leben will.» Auch sie sei nun ruhig: «Aber wenn dein Kind vermisst wird, kannst du einfach nicht aufhören zu suchen.»
SDA/rbi
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