«Bund»-Essay-Wettbewerb: Platz 2Auf dem Weg zum besinnungslosen Grundeinkommen
Misstrauisch stellt dieser Essay fest, dass immer mehr neoliberale Kräfte das Grundeinkommen befürworten. Der Reflex weicht einer differenzierten Reflexion.

Im vergangenen Herbst hatte der 17. «Bund»-Essay-Wettbewerb die Frage gestellt: Kommen Sie, gibt es einen Grund für ein bedingungsloses Grundeinkommen?? 72 Autorinnen und Autoren aus der Schweiz, Deutschland und Österreich folgten dem Aufruf. Die drei von der Jury gewählten Finalistinnen trugen ihre Texte am 2. Mai in der Dampfzentrale vor. Dieser Text wurde vom Publikum auf Platz 2 gewählt. Hier gehts zum ersten Siegertext, und hier zum dritten.
Es ist leicht, für das bedingungslose Grundeinkommen (bGE) zu sein. Es ist ebenso leicht, gegen das bGE zu sein. Darauf komme ich gleich zurück.
Auf dem Weg zum besinnungslosen Grundeinkommen? «Die Schweiz arbeitet weiter!» Das ist das Ergebnis der ersten repräsentativen Umfrage der Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen» von 2016. Das Ergebnis: Nur 2 Prozent der Befragten würden nicht mehr arbeiten wollen. Wie schön! Die Schweiz krampft, und zwar gerne.
Leicht ist es, dafür zu sein, wenn man wie ich aus einem nicht privilegierten Milieu stammt, das Misstrauen «denen da oben» und dem Kapitalismus gegenüber früh erlernt hat und dann erlebt, wie im Laufe der Zeit der Abstand zwischen Arm und Reich grösser wird. Wie die einen Mehrfachjobs schieben und die anderen auf ihren Jachten liegen. Die Prozent Schweizer:innen, die nicht mehr arbeiten würden, bestehen vielleicht aus dem einen Prozent der Überreichen, die ohnehin nicht arbeiten, und aus einem weiteren Prozent vermutlicher Burn-out-Kandidat:innen.
Da rieche ich die Angst der Neoliberalen vor Umverteilung und Verlust von Macht und Privilegien.
Es schmeckt schal, dass ausgerechnet die Frage nach dem Arbeitswillen als Rechtfertigung der Initiative herhalten muss, überraschend ist es nicht. Den Fetisch bedingungslosen Arbeitswillens pflegen Gegner:innen des bGE gerne und sprechen den Menschen die Freude am Leben jenseits der lohnabhängigen Erwerbsarbeit ab. Rainer Hoffmann, ehemaliger Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, nennt das bGE deshalb eine «Abwrackprämie für Menschen». Noch tiefer ins Existenzielle geht es bei anderen Gegner:innen des bGE.
Die Philosophin Katja Gentinetta sieht überhaupt nicht ein, warum die blosse Existenz eines Menschen schon dafür reichen soll, diesen wertzuschätzen und ihm eine Grundsicherung zuzugestehen. Für Roger Köppel ist das bGE sogar ein «Angriff auf die Menschenwürde». In sozialdarwinistischer Manier wird Leistung gefordert, Belohnung versprochen und zwischen Starken und Schwachen unterschieden. Da rieche ich die Angst der Neoliberalen vor Umverteilung und Verlust von Macht und Privilegien. Es stinkt nach «divide et impera».
Hyperkapitalisten für das Grundeinkommen
Jahrelang also führte der Overload an emotionalisierten Gegenargumenten der Privilegierten aus Politik und Wirtschaft zusammen mit meinem proletarisch begründeten Antikapitalismus dazu, dass ich bedingungslos für das Grundeinkommen war. Was eigentlich eher einem Reflex als einer Reflexion entsprang.
Doch dann kam der Tag, an dem ich von neuen Befürwortern des bGE lernte – und plötzlich wurde meine Zustimmung von Zweifeln zerrüttet. Was bedeutet es für die hehre Idee einer gleichen materiellen Grundlage für alle, wenn global agierende Hyperkapitalisten wie Mark Zuckerberg und Elon Musk oder Influencer der Dominanzkultur wie Klaus Schwab und Thomas Straubhaar sich für ein bGE aussprechen?
Seziert man die jeweiligen Aussagen dieser neuen Protagonisten, erkennt man schnell deren DNA. Zuckerberg will das Entrepreneurship fördern und ist bereit, Millionen Dollar aus seiner Stiftung für ein US-bGE bereitzustellen. Musk wiederum liegen zwei Dinge am Herzen: Automation und niedrige Lohn- und Betriebskosten.

Der Übervater liberaler Weltfinanzpolitik, Klaus Schwab, will alles voll agil haben, besonders die Politik, und da wäre es schön, wenn die Unternehmensverantwortung für Löhne auch agil gehandhabt würde (im Hintergrund höre ich Zuckerberg und Musk enthusiastisch klatschen), während der Ökonom Thomas Straubhaar sich sorgt, dass kranke Menschen eine nicht effiziente Ressource sind – ein bGE wäre billiger.
Das bGE ist also eine Investition in den weiteren Ausbau des Produktportfolios und ein Weg, die Lohnkosten auf die Gesamtgesellschaft abzuwälzen. Es bietet die Chance, ineffiziente Humanressourcen günstig abzuschütteln, und sollte einer dieser Akteure noch über ein Gewissen verfügen, würde das bGE auch dessen guten Schlaf schützen, da Entlassungen und andere strukturelle Notwendigkeiten kein Grund mehr sein müssten für moralische Beunruhigung.
Lungenmaschine des Kapitalismus
Welche Art von Grundeinkommen wollen neoliberale Kräfte? Wird es zur Lungenmaschine des siechenden Kapitalismus? Einigen wir uns auf die Bedingungslosigkeit, oder ist sie ein verhandelbares Element?
In diese Richtung hat Sibylle Berg in ihrem Roman «RCE» die Idee eines neoliberalen Grundeinkommens weitergedacht. Da ist das Leben der Menschen weitgehend durch Konsum und digitale Kontrolle ersetzt, und das Grundeinkommen ist eine gnädige Gabe, deren Höhe und Auszahlung von vielerlei geglückten Anpassungsleistungen des Individuums abhängig sind.

Der vollständige Mangel an Perspektiven lässt die Menschen mit ihrem Grundeinkommen passiv dahinvegetieren. An die Stelle eines Lebens in Würde mit bedingungslosem Grundeinkommen tritt eine sinnlose Existenz ohne Perspektiven. Ein Grundeinkommen gekoppelt an die wirtschaftliche und soziale Angepasstheit sowie die ökonomische Nützlichkeit der Ressource Mensch entspräche genau der bemühten «Abwrackprämie für Menschen».
Gesellschaft unterm Brennglas
Die Erkenntnis, dass ein bGE nicht nur in meiner linkslastigen Sozialblase Befürworter:innen findet, hat bei mir zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit der Idee und ihrer Umsetzung geführt. Die Reflexion hat den Reflex ersetzt.
Das bGE kann nicht alle sozialen und ökonomischen Probleme lösen, aber die Diskussion darum macht die neuralgischen Punkte und grundlegenden ethischen Fragen unserer Gesellschaft sichtbar: Können wir vertrauen? Geben wir Konkurrenz oder Kooperation den Vorrang? Wollen wir strukturelle und materielle Ungerechtigkeit beenden? Sollen die Reichen mehr an die Gesellschaft zurückgeben? Wollen wir Armut verschwinden lassen oder doch nur die Armen? Wie entkoppeln wir demokratische Politik und wirtschaftliche Macht? Was ist ein sinnerfülltes Leben? Und wem steht es zu? Welchen Stellenwert hat Lohnarbeit?
Wir sind gefordert, Lösungen zu finden für als unattraktiv geltende, weil schlecht bezahlte Arbeiten.
Wir sind gefordert, Lösungen zu finden für als unattraktiv geltende, weil schlecht bezahlte Arbeiten. Der Wandel der Gesellschaft und der Arbeitswelt durch die rasend schnelle Digitalisierung ist unter diesem Brennglas genauso ein Thema wie die individuelle und die gesellschaftliche Gesundheit. Und auch die Frage, wie wir unsere Volkswirtschaften aus der Konsum- und Wachstumsabhängigkeit befreien und dennoch unseren schönen Lebensstandard halten können, diesmal aber für alle statt für wenige.
Ob wir auf ein würdevolles Leben mit bedingungslosem oder auf ein stupides Dasein mit besinnungslosem Grundeinkommen zusteuern, liegt im Wesentlichen daran, wie wir die Diskussion um das bGE führen und uns mit diesen und anderen grundlegenden Gesellschaftsfragen auseinandersetzen.
Apropos Gesellschaftsfragen: In der eingangs erwähnten Umfrage zeigte sich auch, dass ein Drittel der Befragten denkt, alle anderen würden nicht mehr arbeiten wollen.
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