Angst vor einem neuen Krieg
Israel bombardiert den Gazastreifen am zweiten Tag in Folge, dreizehn Menschen starben. Ein palästinensischer Raketenangriff auf ein israelisches Wohnhaus tötete heute drei Menschen.
Bei einem Raketenangriff militanter Palästinenser aus dem Gazastreifen sind in Israel nach Polizeiangaben mindestens drei Menschen getötet worden. Ein vierstöckiges Wohnhaus in dem Ort Kiriat Malachi habe einen Volltreffer erhalten.
Weitere Verletzte mussten unter Trümmern geborgen werden, wie ein Polizeisprecher weiter sagte. Es handelt sich um den ersten Bericht über Todesopfer in Israel, seit das Land am Mittwoch massive Luftangriffe auf den Gazastreifen gestartet hat.
Dabei wurden nach Angaben der dort regierenden radikalislamischen Hamas bislang 13 Palästinenser getötet. Unter den Toten war auch der Hamas-Militärchef. Israel warf nach Medienberichten Flugblätter über Gaza ab, die Zivilisten dazu aufriefen, sich zu ihrem eigenen Schutz von Waffenlagern fernzuhalten.
Militante Palästinenser feuerten ihrerseits seit Mittwochabend Dutzende Raketen in Richtung Israel ab. In Städten in Reichweite des Gazastreifens heulten immer wieder die Sirenen, darunter in Aschdod und Beerscheva.
Angst vor einem neuen Krieg
Der UNO-Sicherheitsrat hat zuvor in einer Dringlichkeitssitzung über die jüngsten israelischen Angriffe im palästinensischen Gazastreifen beraten. Die Palästinenser forderten das Gremium zum Handeln auf, um die Fortsetzung der Militäraktionen zu stoppen.
Die Sitzung des Sicherheitsrats gestern Abend hinter verschlossenen Türen war von Ägypten, Marokko und den Palästinensern beantragt worden. Palästinenservertreter Rijad Mansur sprach von einem rechtswidrigen Vorgehen gegen eine «wehrlose palästinensische Bevölkerung».
Es herrsche Angst und Panik unter den Menschen, sagte er einem verbreiteten Redetext zufolge. Israels UNO-Botschafter Ron Prosor wiederum rechtfertigte das Vorgehen seines Landes und bezeichnete den beim Angriff getöteten Hamas-Militärchef Ahmed al-Jabari als Massenmörder.
Nach den israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen und der gezielten Tötung von Hamas-Militärchef al-Jabari geht im Nahen Osten die Angst vor einem neuen Krieg um. Die israelischen Streitkräfte kündigten an, die Attacke vom Mittwoch sei lediglich der Auftakt für eine grössere Militäroperation in den kommenden Tagen.
Obama: Zivile Opfer möglichst vermeiden
US-Präsident Barack Obama hat dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu im Konflikt im Gazastreifen seine Unterstützung zugesichert. Obama habe in dem Telefonat bekräftigt, dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Dies teilte das Weisse Haus in Washington mit. Netanyahu solle alles dafür tun, um Todesopfer in der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Beide Politiker seien darin einig, dass die radikal-islamische Hamas ihre Angriffe auf Israel beenden müsse.
Am Mittwochnachmittag sei US-Vizepräsident Joe Biden persönlich von dem israelischen Premier über die Geschehnisse unterrichtet worden. Obama und Netanyahu wollten auch in den kommenden Tagen in Kontakt bleiben.
Einberufung von Reservisten «nach Bedarf»
Israel hat grünes Licht für die Einberufung von Reservisten der Armee gegeben. Das Sicherheitskabinett billigte die Einberufung von Reservisten «nach Bedarf», wie es in einer Erklärung des Kabinetts hiess. Ein Armeesprecher sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass einige Benachrichtigungen gezielt verschickt worden seien. Es handele sich jedoch nicht um eine generelle Mobilisierung.
Die israelische Luftwaffe hatte zuvor den Hamas-Militärchef, Ahmed al-Jabari, getötet. Mit dem gezielten Luftangriff startete die Armee gleichzeitig einen grossangelegten Militäreinsatz mit dutzenden Luftangriffen gegen die Hamas und andere bewaffnete Gruppierungen im Gazastreifen, bei dem nach palästinensischen Angaben sechs weitere Palästinenser starben und etwa 60 verletzt wurden. Die Angriffe halten zurzeit an, zudem wurde der Süden Israels seit der Tötung Jabaris von mindestens 29 Raketen getroffen, wie die örtliche Polizei erklärte.
Die Arabische Liga bereitete unterdessen eine Dringlichkeitssitzung der arabischen Aussenminister vor. Liga-Chef Nabil al-Arabi habe Kontakt zum libanesischen Aussenminister Adnan Mansur aufgenommen, dessen Land derzeit den Liga-Vorsitz inne hat, um die Sitzung vorzubereiten, erklärte ein Sprecher der Staatengruppe. Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi zog nach Angaben eines Sprechers den Botschafter seines Landes aus Israel ab. Zudem forderte er das Aussenministerium auf, den israelischen Botschafter in Kairo einzubestellen.
«Beginn einer grösseren Operation»
Die tödliche Attacke auf Ahmed al-Jabari sei der «Beginn einer grösseren Operation», hatte die Sprecherin der israelischen Streitkräfte, Avital Leibovitch, nach dem Angriff auf Jabari gesagt. Israel reagiert damit auf den viertägigen Beschuss südlicher Grenzorte mit Raketen aus dem Gazastreifen. «Falls notwendig», sei Israel auch zu einer Bodenoffensive bereit.
Ziele der Israelis sind der militante Flügel der Hamas und weitere Terrorgruppen, die für den erheblich zugenommenen Raketenbeschuss israelischer Ortschaften aus dem Gazastreifen verantwortlich sind. Allein seit Samstag beschossen Islamisten israelisches Gebiet mit über 100 Raketen und Granaten. Ihre Raketen sind inzwischen so modern und weitreichend, dass sie eine Millionen Menschen bedrohen.
Auch die Hamas bestätigte den Tod ihres Militärführers Jabari. Der Luftangriff habe ihn in seinem Auto getroffen, mit dem er in Gaza unterwegs gewesen sei, hiess es. Eine weitere Person soll bei dem Angriff getötet worden sein. In der Vergangenheit kam es nach Raketenangriffen immer wieder zu israelischen Vergeltungsschlägen. Jabari ist der ranghöchste Hamas-Funktionär, den Israel seit seiner Invasion des Gazastreifens vor vier Jahren gezielt getötet hat.
Weit oben auf der Todesliste
Sein Name stand weit oben auf der Todesliste von Israels Militär und Geheimdiensten, die ihm eine ganze Reihe von Anschlägen vorwerfen. Zudem soll er an der Entführung des Soldaten Gilad Shalit im Jahr 2006 beteiligt gewesen sein, der erst im Oktober 2011 wieder frei kam.
Laut der englischsprachigen Internetseite der «Jerusalem Post» beschrieb Armeesprecher Yoav Mordechai den getöteten Jabari als Mann «mit viel Blut an seinen Händen». Der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Beth erklärte, Jabari sei «direkt verantwortlich für die Ausführung von Terrorangriffen» gewesen.
«Das oberste Ziel dieses Angriffs ist, dem Süden Israels wieder Ruhe zu bringen», sagte Mordechai weiter. Dabei halte sich Israel «alle Optionen offen», wenn es darum gehe, «Terrororganisationen» zu treffen.
Gezielte Tötungen umstritten
In den vergangenen Tagen hatten hochrangige Politiker und Militärangehörige immer lauter über die Wiederaufnahme der national wie international umstrittenen gezielten Tötungen nachgedacht. Jabari soll nach Angaben der israelischen Streitkräfte mittels «präziser Geheimdiensterkenntnisse» identifiziert worden sein, die monatelang gesammelt wurden.
Nach Einschätzung der Befürworter gezielter Tötungen sind diese ein effektives Mittel zur Abschreckung – ohne die Nachteile von Bodeneinsätzen wie etwa Verluste unter den eigenen Truppen. Zudem könne die Tötung von Vordenkern und Führern künftige Anschläge verhindern.
Kritiker argumentieren hingegen, dass gezielte Tötungen Racheakte provozierten und Anschläge auf die israelische Führung nach sich ziehen könnten. Vor allem seien die Attacken als aussergerichtliche Tötungen zu sehen.
Als Reaktion auf eine Serie von Selbstmordanschlägen hatte Israel bereits vor zehn Jahren diese Taktik zur Eliminierung der obersten Hamas-Führungsspitze genutzt.
Druck auf Abbas wegen geplantem UN-Antrag
Die Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern haben in den letzten Wochen zugenommen. In zwei Wochen wollen die Palästinenser bei der UNO einen Antrag auf Anerkennung als Nichtmitglied bei den Vereinten Nationen stellen, was Israel noch zu verhindern versucht. In einem Strategiepapier spricht sich das israelische Aussenministerium für einen «Sturz» des Palästinenserpräsidenten aus, sollte er mit seiner Initiative Erfolg haben. Seine Entmachtung sei «in diesem Fall die einzige Möglichkeit», heisst es in dem Entwurf, aus dem die Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch zitierte. Alles andere käme dem Eingeständnis einer Niederlage gleich.
Der Entwurf muss noch von Aussenminister Avigdor Lieberman gebilligt und dann den Regierungsvertretern vorgelegt werden, die für Israels Antwort auf die Initiative der Palästinenser zuständig sind. In Gesprächen mit der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton hatte Lieberman nach Informationen des israelischen Fernsehens bereits im Oktober damit gedroht, für den «Zusammenbruch» der Palästinensischen Autonomiebehörde zu sorgen, sollte sie an ihrer Initiative festhalten.
Auch der israelische Umweltminister hat sich nun dahingehend geäussert, Israel könnte Abbas wenn nötig stürzen.
Nach Angaben eines ranghohen israelischen Regierungsvertreters könnte Israel auch die Osloer Friedensverträge von 1993 oder zumindest einen Teil von ihnen aufkündigen. Der Schritt der Palästinenser käme einem Bruch der Verträge gleich, in dem Fall sähe sich Israel nicht mehr an die Vereinbarungen gebunden, sagte er der AFP.
Abbas hatte Montagabend angekündigt, am 29. November bei der UN-Vollversammlung einen Antrag auf Anerkennung als Nicht-Mitgliedsstaat mit aufgewertetem Beobachterstatus einzubringen. Eine Mehrheit in der UN-Vollversammlung gilt als sicher. Israel und die USA lehnen die Initiative vor dem Abschluss eines Nahost-Friedensabkommens ab.
Im vergangenen Jahr war Abbas mit seiner Initiative für eine UN-Vollmitgliedschaft gescheitert. Mit einem aufgewerteten Beobachterstatus als Nicht-Mitgliedsstaat könnten die Palästinenser unter anderem vor internationale Gerichte ziehen und Israel wegen seiner Siedlungspolitik verklagen.
sda/AFP/dapd/mw/chk/kle
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