Am Puls des Kosmos
Zwei Erstaufführungen von Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis führten im Rahmen des Musikfestivals Bern zur Erfahrung kosmischer Klangwelten. Sie zeigen, welche sonderlichen Reiche elektronische Musik erschliessen kann.
Karlheinz Stockhausens «Cosmic Pulses» von 2007 setzt ruhig ein, doch schon bald zeichnen sich erste Bewegungen ab: Klanglinien beginnen sich in diversen Richtungen um das Publikum zu drehen. Sie vermehren sich, beschleunigen sich, kreuzen sich. Die einzelnen Spuren gehen verloren, verdichten sich zu einer einzigen flimmernden Klanghöhle. Hier scheint das Herz des Universums erreicht, die Intensität kann nicht mehr zunehmen.
Diese Verdichtung der Stimmen stellt das Publikum in eine immense Klangarchitektur. Sie imitiert ein vibrierendes Weltenchaos. Sein Leben lang hat Stockhausen danach gestrebt, in seinem letzten Werk ist es ihm gelungen: «Cosmic Pulses» scheint den Kosmos musikalisch zu empfangen und abzubilden. Die Schweizer Erstaufführung von Stockhausens Monumentalkomposition findet im Rahmen des Musikfestivals Bern und der langen Nacht der Neuen Musik statt, in der als Kontrast zu den Schweizer Erstaufführungen das Bläserquintett September Winds (Hans Anliker, Peter A. Schmid, Reto Senn, Jürg Solothurnmann und Marc Unternährer) vorher, nachher und zwischendurch mit der Luft spielt.
Auch in seinem letzten Werk steckt Stockhausen die Grenzen der kompositorischen Möglichkeiten neu ab. Wie schon für «Kontakte» und «Oktophonie» lässt er eigens eine elektronische Apparatur entwickeln. Sie ermöglicht, dass die Klänge sich in 241 unterschiedlichen Bahnen um das Publikum bewegen.
Serielle Technik notwendig
Der Zeit seines Lebens kontrovers aufgenommene Komponist, der 2007 im Alter von 79 Jahren verstarb, strukturiert «Cosmic Pulses» anhand von 24 «melodischen Schleifen» komplett durch. Die oft als steril und nicht ästhetisch empfundene serielle Technik erhält hier ihre Notwendigkeit. Sie bildet ein Fundament für die unzähligen Schichten und hält die spiralförmige Konstruktion zusammen.
Auch die zu Beginn auffallende Plattheit der synthetischen Grundklänge macht Sinn, damit das Werk nicht in unzählige kosmische Elementarteilchen zerfällt. «Cosmic Pulses» bietet dank der Unnachgiebigkeit seines Schöpfers ein berauschendes Klangerlebnis.
Mit Iannis Xenakis kommt im zweiten Programmblock ein anderer mystischer Rationalist zu Wort. Das in den Siebzigerjahren komponierte «La Légende d'Eer» bietet ebenfalls eine sensationelle Klangerfahrung.
Im Gegensatz zu Stockhausens rein elektronischer Musik fasziniert in Xenakis Werk die Textur der elektronischen Klänge in Kombination mit Samples von Alltagsgeräuschen. An Anfang und Ende stehen karge, um sich selber kreisende Zirpklänge, dazwischen die ohrenbetäubende Intensität eines Geräusch- und Klangkonglomerats. Doch das für die Eröffnung des Centre Pompidou geschaffene Werk vermag über längere Strecken nicht genug zu packen. Das mag darin begründet sein, dass es als multimediale Vorführung konzipiert ist. Die Lichteffekte und eingeblendeten Texte fehlen in der rein akustischen Vermittlung.
Überladenes Programmkonzept
Der Spannungsabfall kann aber schlicht auch daran liegen, dass das Programm der langen Nacht der Neuen Musik zu kompakt konzipiert ist. Die beiden zentralen Werke benötigen für den ungestörten Genuss mehr Raum. Die anspruchsvollen Hörerlebnisse sollten auf frische Sinne treffen und im Kopf nachhallen können.
Die Interventionen des Bläserquintetts «September Winds» tragen zum Effekt einer akustischen Übersättigung bei. Die fein konzipierten Stücke kämen in einer gesonderten Aufführung besser zur Geltung. Nach den Monumentalwerken stören sie schlichtweg, weil sie in deren Ausklingzeit hineinwirken.
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