Nach Angst vor StrommangelAltpapierpreis leidet unter Hamsterkäufen im Vorjahr
Im vergangenen Jahr erhielten Gemeinden für ihr Altpapier bis zu zehnmal mehr als davor. Warum die Preise jetzt wieder «im Keller» sind.

Die Preise für Papier haben sich von 2021 auf 2022 rund verdoppelt. Wie SRF am Dienstag berichtete, bedeutete dies allein für die TX Group, Herausgeberin dieser Zeitung, Mehrkosten von 25 Millionen Franken. Bereits reagierten einzelne Verlage bei ihren Printprodukten mit reduzierten Umfängen oder höheren Preisen.
Für Gemeinden dagegen bedeuten hohe Papier- und Kartonpreise, dass sie für ihr Altpapier mehr Geld erhalten. «Tatsächlich bewegten sich die Preise für Altpapier aus Gemeindesicht in letzter Zeit auf einem erfreulichen Niveau», sagt Daniel Bichsel (SVP), Gemeindepräsident in Zollikofen und Präsident des Verbands Berner Gemeinden. «Vor wenigen Jahren war dies ganz anders, unter Berücksichtigung der Sammel- und Transportkosten hat man damals draufgelegt.»
Von den heftigen Preisausschlägen für Altpapier war auch die Stadt Bern betroffen, wie Christian Jordi, Leiter Entsorgung und Recycling, aufzeigt: Während die Stadt im Frühling 2020 noch bezahlen musste, um ihr Altpapier loszuwerden, folgte auf die anschliessende «Nullrunde» eine eigentliche Hausse: «Zwischen Juli 2021 und Dezember 2022 erhielten wir Vergütungen von über 100 Franken pro Tonne», so Jordi. Doch inzwischen ist diese Hochpreisphase bereits wieder verpufft: «Seit Januar 2023 sind die Preise massiv gefallen. Die aktuelle Entschädigung beläuft sich auf unter 10 Franken.»
Ungewissheit führte zu Überproduktion
Was Preisschwankungen für eine Gemeinderechnung konkret bedeuten können, zeigt der Fall Köniz auf eindrückliche Weise. So betrug dort der Erlös für Altpapier im Jahr 2020 rund 35’000 Franken – und zwei Jahre später 320’000 Franken. Fast das Zehnfache. Er könne angesichts dieser Volatilität nur staunen, sagt Gemeinderat Hansueli Pestalozzi (Grüne), der zuständige Direktor für Umwelt und Betriebe: «Der Preis hängt von vielen Faktoren ab, doch richtig erklären kann diese extremen Ausschläge kaum jemand.»
Ein Experte, der es besser wissen müsste, ist Thomas Leu, Verwaltungsrat bei Alpabern, einem der grössten Altpapier- und Karton-Recycler der Schweiz mit Sitz neben dem Berner Entsorgungshof Schermen. «Ganz alles verstehe ich selber nicht», sagt Leu und lacht zunächst – bevor er zu einem kurzen Vortrag zum Papiermarkt ansetzt. Wichtig sei zunächst, zwischen Neu- und Altpapier zu unterscheiden.
Schon vor 2020 seien die Preise für Neupapier aufgrund einer rückläufigen Nachfrage «im Keller gewesen», sagt Leu. Weil Papierfabriken entsprechend ihre Kapazitäten reduziert und stetig weniger Altpapier gebraucht hätten, sei auch dessen Preis «ins Bodenlose gefallen». Mit Corona habe der Verpackungssektor aber «einen gewaltigen Aufschwung» erlebt, die Nachfrage nach Alt- und Neupapier war plötzlich gross, die Preise stiegen.
Im Frühling 2022 kam mit dem Ukraine-Krieg, der befürchteten Energiemangellage und den als Folge massiv gestiegenen Energiepreisen ein zusätzlicher Booster für die Papierpreise hinzu: «Niemand wusste, ob im Herbst und Winter noch genügend Strom und Gas für die Papierproduktion zur Verfügung stehen würde», erklärt Leu. «Entsprechend füllten alle ihre Lager und produzierten so viel wie möglich auf Vorrat – weshalb jetzt das Angebot grösser ist als die Nachfrage.»
Auf den Höhenflug folgte also der abrupte Absturz des Preises für Altpapier. Im Vergleich dazu sind die Preise für Neupapier laut Leu immer noch hoch, «aber auch nicht mehr auf Rekordniveau». Hauptgrund dafür sei die rückläufige Nachfrage nach Papier sowohl im Druck- als auch im Verpackungsbereich. Deshalb sei die Auslastung der europäischen Papierfabriken weiterhin tief. Die hohen Lagerstände verstärken diesen Effekt noch.
Abrechnung über Spezialfinanzierung
Angesichts der heftigen Ausschläge dürften Gemeinden letztlich froh sein, dass ihr Gedeihen kaum vom Erlös für Altpapier abhängt. Kommt hinzu, dass das Abfall- und Entsorgungswesen von Gesetzes wegen nicht direkt über den Steuerhaushalt, sondern über eine mit Gebühren geäufnete Spezialfinanzierung abgerechnet wird.
In den meisten Gemeinden werde die Karton- und Altpapierentsorgung nicht über eine separate Gebühr abgerechnet, sagt Zollikofens Gemeindepräsident Bichsel, sondern sei in der Grundgebühr enthalten. «Auf diese Weise wird die Bevölkerung motiviert, den Abfall zu trennen und fachgerecht zu entsorgen – etwas, was auch im Interesse der Gemeinden liegt.»
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