
Beides ist so durchsichtig wie realitätsfremd: Die SVP ruft Alain Berset zum sofortigen Rücktritt auf. Die via Leck bekannt gewordenen Mails seines Sprechers an den Ringier-Verlagschef seien ein Skandal. Und die SP ruft staatsmännisch dazu auf, nun zunächst einmal gemächlich die Untersuchungsergebnisse abzuwarten.
Klar, die SVP will im Wahljahr der SP maximal schaden. Sie macht aus dem Leck reflexartig Beweise für eine Druckkampagne auf den Bundesrat, die Berset entweder selbst angeordnet oder zumindest geduldet habe. Das ist in den Augen der Partei vielleicht strafrechtlich, gewiss aber politisch strafwürdig.
Für die SVP trägt Berset damit Schuld an einer schweren politischen Krise: Der Gesundheitsminister habe gegen seine eigenen Kolleginnen und Kollegen intrigiert. So habe er das Vertrauen zerstört, das es für eine funktionierende Regierungsarbeit brauche.
Das ist mindestens stark übertrieben, wenn nicht gar falsch. Selbstverständlich gehört das Kollegialitätsprinzip zum eisernen Kern unseres Regierungssystems. Und selbstverständlich wird dieses untergraben, wenn einzelne Mitglieder durch gezielte Lecks ihre Kolleginnen und Kollegen unter Druck setzen und so Vertrauen zerstören.
Im Austausch wurde möglicherweise gar nichts verhandelt, was strafbar oder politisch anrüchig ist.
Nur beweisen die öffentlich gewordenen Mails von Bersets Sprecher an den Ringier-Verlagschef allein noch gar nichts. Bisher weiss niemand ausser den Direktbeteiligten, was neben den spärlichen Mailauszügen sonst noch geschrieben, gesagt, abgemacht, verworfen, getan oder bewusst verschwiegen wurde.
Es mag gemäss heutigem Stand des Wissens unwahrscheinlich tönen, aber es ist nicht auszuschliessen: Im Austausch zwischen Berset und Ringier wurde möglicherweise gar nichts verhandelt, was strafbar oder auch nur politisch anrüchig ist. Man weiss: Kontakte auf höchster Ebene zwischen dem Bundeshaus und den Chefetagen der Wirtschaft gehören zum politischen und wirtschaftlichen Alltag.
Umgekehrt ist es fadenscheinig, wenn die SP aus ihrer Wagenburg heraus dazu aufruft, nun erst einmal brav auf strafrechtliche Untersuchungsergebnisse zu warten. Denn das kann Jahre dauern: Mittlerweile untersuchen in dem Fall drei (ja: drei!) Sonderermittler, die aber kaum einen Schritt vorankommen.
Einer der Gründe dafür ist, dass die fraglichen Mails jetzt gerichtlich versiegelt sind. Der angeschuldigte Berset-Sprecher macht – völlig legitim – von seinen Verteidigungsrechten Gebrauch.
Als Behelf kämen zwar Ermittlungen der parlamentarischen Aufsicht infrage. Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte dürften sich schon bald dafür entscheiden. Nur darf man sich keine Hoffnung machen, dass sie in nützlicher Frist ans Ziel kommen. Denn auch hier gelten Verfahrensregeln, auch eine Kommission oder eine Subkommission muss alle Beteiligten anhören, und die haben Fairness verdient.
Durch die Enthüllung der Mailauszüge liegt auf Alain Berset ein langer, schwarzer Schatten.
Nun ist es aber eine Tatsache, dass der politische Schaden längst angerichtet ist. Durch die Enthüllung der Mailauszüge liegt auf Alain Berset ein langer, schwarzer Schatten.
Damit ist auch der ganze Bundesrat einem bösen Verdacht ausgesetzt: Kamen wichtige Entscheide unter medialem Druck zustande, den der Gesundheitsminister mutwillig initiiert hat? Hat der Ringier-Verlagschef via Berset mitregiert? Herrscht in der Landesregierung noch das dringend nötige gegenseitige Vertrauen? Und kann damit das Volk noch diesem Bundesrat vertrauen?
Bevor nun aus der Corona-Leck-Affäre tatsächlich eine Staatskrise wird, muss Alain Berset sich dem Bundesrat im Detail erklären, so wie es für Mittwoch vorgesehen ist. Und der Bundesrat muss dann entscheiden, ob er die Affäre zu den Akten legen will – wie bereits früher so manche tatsächlichen und angeblichen Lecks und Kollegialitätsverstösse aus seinen Reihen. Oder ob er dem aktuellen Bundespräsidenten das Vertrauen entzieht.
Entweder ist Bersets Bundesratskarriere damit beendet. Oder er und der Gesamtbundesrat erklären vor dem Parlament und damit öffentlich, wie sie nun miteinander weiterregieren wollen. Aber die Affäre einfach aussitzen, das geht nicht.
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Kommentar zum Corona-Leck – Alain Berset darf diese Affäre nicht aussitzen
Die SVP will Alain Bersets Rücktritt, die SP will das verhindern. Beides ist fadenscheinig, aber die Vertrauenskrise ist eine Realität. Der Bundesrat muss einen Ausweg daraus finden.